Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
fortbewegt hatte. Es gab keine Geräusche und kein Licht, nur Dunkelheit und Irials Stimme von ganz weit weg: »Ruh dich jetzt aus, mein Liebling. Ich komme später zu dir.«
Siebenundzwanzig
Niall hatte kaum das Wohnzimmer des Lofts betreten, als er schon damit herausplatzte: »Leslie ist weg. Ich verlange nicht viel von dir, habe es in all den Jahren nie getan …«
Keenan hob abwehrend die Hand, von der pulsierendes Sonnenlicht ausging. »Hat Irial immer noch Macht über dich, Niall?«
»Wie bitte?« Niall blieb reglos stehen und hielt mühsam seine Emotionen im Zaum.
Der Sommerkönig machte ein grimmiges Gesicht, antwortete aber nicht. Die Pflanzen im Loft bogen sich schon unter der Kraft des Wüstenwindes, der immer noch zunahm, während Keenan zwischen verschiedenen Gefühlen hin- und herschwankte; die Vögel hatten sich in ihre Schlupfwinkel oben in den Säulen zurückgezogen. Wenigstens sind die Sommermädchen nicht hier. Keenan verwies die verbliebenen Wachposten mit wenigen knappen Worten der Wohnung. Dann begann er auf und ab zu laufen. Wirbel dampfiger Luft trudelten durch den Raum, drehten und wanden sich, als wären geisterhafte Gestalten in ihnen verborgen, und wurden dann von Wüstenwinden zerfetzt, die heulend um sie herumfegten, bald darauf jedoch ihrerseits von plötzlich einsetzenden Regengüssen hinweggespült wurden. Als Ausdruck der widerstreitenden Gefühle, die im Innern des Königs tobten, prallten all diese Wetterzonen auf dem engen Raum aufeinander und hinterließen ein Chaos.
Schließlich blieb Keenan stehen. »Denkst du noch oft an Irial?«, fragte er. »Hast du Sympathien für seinen Hof?«
»Was meinst du damit?«, fragte Niall zurück.
Keenan griff nach einem Sofakissen; offenkundig suchte er nach einer Möglichkeit, seine Gefühle zu bändigen. Erneut peitschte Sturm durch den Raum, zerfetzte die Blätter an den Bäumen und riss gläserne Skulpturen zu Boden.
»Ich habe die Entscheidungen getroffen, die ich treffen musste, Niall. Ich werde sie nicht rückgängig machen. Ich lasse mir meine Macht nie wieder beschneiden, lasse mich nie wieder von Irial schwächen …« Sonnenlicht strömte aus Keenans Augen, von seinen Lippen. Das Sofakissen fing Feuer.
»Was du da redest, ergibt keinen Sinn, Keenan. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es.« Nialls Temperament war nicht ganz so sprunghaft, selbst nach all den Jahrhunderten mit Keenan nicht, auch wenn er eine weitaus grausamere Veranlagung besaß als Keenan. »Irial hat Leslie mitgenommen. Wir haben keine Zeit für …«
»Irial mag dich immer noch.« Keenan setzte eine nachdenkliche Miene auf und stellte ihm dann eine Frage, die er noch nie zuvor so direkt gestellt hatte: »Was empfindest du für ihn?«
Niall erstarrte und sah seinen Freund an, die Person, deren Wohl schon über so viele Jahrhunderte hinweg sein einziger Lebensinhalt war, sein Beweggrund für alles . Es tat weh, dass Keenan ihm so eine Frage stellte. »Tu das nicht. Stell mir keine Fragen, die sich auf das Davor beziehen.«
Keenan antwortete nicht, entschuldigte sich nicht dafür, dass er Salz in alte Wunden streute. Er trat ans Fenster; der Sandsturm im Raum legte sich. Der Sommerkönig hatte sich wieder beruhigt.
Niall hingegen musste sehr kämpfen, um seine Emotionen zu zügeln. Er wollte über dieses Thema nicht reden, nicht jetzt, wo er sich Sorgen um Leslie machte und wütend auf Irial war. Früher einmal hatte Niall sein Vertrauen einem anderen König geschenkt, und das war ein Fehler gewesen. Bis Irial ihm eröffnete, er habe die ganze Zeit gewusst, dass die Sterblichen, mit denen Niall das Bett geteilt hatte, süchtig und krank davon wurden. Er hatte Niall erzählt, dass all diese Sterblichen ihr Leben ließen – aber erst nachdem die Dunkelelfen sie an ihren Hof verschleppt hatten, um ihren Spaß mit ihnen zu haben. Er hatte ihm erklärt, es gehöre einfach zu seiner Gancanagh-Natur dazu, dass er andere süchtig mache. Danach war Niall geflohen, doch Gabriel hatte ihn aufgespürt und zurück an den Hof der Dunkelelfen gebracht, wo Irial ihn bereits erwartete.
»Du könntest eines Tages meinen Hof regieren, Gancanagh«, hatte Irial gemurmelt, während er die Sterblichen hereinführte, die süchtig waren – und schier wahnsinnig vor Verlangen.
»Bleib bei uns«, flüsterte er. »Hier gehörst du hin. Zu mir. Daran hat sich nichts geändert.«
Um sie herum hatten die Sterblichen sich auf willige Elfen gestürzt, nach deren
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