Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
ihren Augen. Sie ging an ihm vorbei, blieb dann stehen, schaute sich um und winkte ihn zu sich. Ohne sich zu vergewissern, dass er ihr auch folgte, bog sie in eine schmale Gasse ein. Sie warf noch immer keinen Blick zurück, als sie unter dem Metallzaun hindurchschlüpfte und als sie mit ihren Fingern über den Stacheldraht fuhr, der darauf gespannt war. Erst als Niall direkt hinter ihr stand wie eine Beute, die so dumm ist, dem Raubtier zu folgen, drehte sie sich zu ihm um.
Niall fragte sich, ob er ihr gefolgt war, um zu sterben: Dieses Ende hatte er bereits damals in Betracht gezogen, als Irial den Dunkelelfen erlaubt hatte, ihn zu foltern, aber wieder verworfen. Es wäre nicht die richtige Entscheidung gewesen. Bananach hätte Niall mit Freuden das Leben geraubt, wenn Irial sie nicht weggeschickt hätte, um sich an ihrem ungestillten Verlangen zu laben. Diese Entscheidung ist nie richtig .
Doch er zog sich nicht zurück.
Sie lehnte an dem Metallzaun, den Arm über den Kopf erhoben, die Finger um die Drahtschlaufen gelegt. Der Stahl des Stacheldrahtzauns befand sich unmittelbar über ihren Fingern, so nah, dass es aussah, als reckte sie sich nach dem giftigen Metall. Ihr Wunsch, etwas zu berühren, das ihr Schmerzen bereitete, erschien ihm auf eine ungesunde Art erregend.
Er blieb auf Distanz und schwieg.
Sie drehte den Kopf und starrte ihn unverwandt an. Diese vogelartige Geste bildete einen Kontrast zu der Sterblichen-Maske, die sie weiterhin trug. »Es muss dringend Ersatz für Irial her«, sagte sie.
»Und weshalb erzählst du mir das?«
»Weil du mir Veränderung bringen kannst. Er ist nicht gut für uns. Nicht mehr.« Ihr Zauber verrutschte, flackerte an und aus. »Hilf mir. Bring mir meine Kriege zurück.«
»Ich will keinen Krieg. Ich will …« Er sah weg, da er nicht wusste, was er wirklich wollte. Ihre verführerische Gewaltbereitschaft hatte ihn an einen viel zu engen Ort gelockt. Und wenn ich der Versuchung erliege, mich selbst zu vernichten, bleibt es Leslie überlassen, das Unmögliche selbst herauszufinden. Er war vor Irial weggerannt, vor Keenan. Und er rannte noch immer weg. »Ich werde dir nicht helfen.«
»Kluge Antwort, hübscher Junge.« Gabriel erschien plötzlich an seiner Seite. Der Hundself streckte einen Arm aus, über den in rasendem Tempo Tattoos liefen, und bedeutete Niall zurückzutreten. »Du solltest jetzt weitergehen.«
Bananach klappte den Mund auf und zu. Ihr Zauber verblasste, so dass ihr spitzer Schnabel sichtbar wurde. »Ich bin es allmählich leid, dass du dich ständig einmischst. Wenn der Gancanagh bei mir bleiben will …«
Gabriel stellte sich genau in dem Augenblick vor Niall, als Bananach sich auf ihn stürzte. Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus, einen Laut, der Gelächter sein konnte oder ein Zornesausbruch oder irgendeine Kombination von beidem. Ihre gespreizten Finger waren mit schwarzen Krallen bewehrt.
»Dies ist eine Angelegenheit unseres Hofes, Niall. Verschwinde jetzt«, sagte Gabriel, ohne sich zu ihm umzuschauen.
Gabriel hob Bananach hoch und schleuderte sie gegen den Metallzaun. Ihr Gefieder verfing sich im Stacheldraht, doch sie riss sich los. Zerfetzte Federn schwebten hinter ihr zu Boden und verteilten sich auf dem dunklen Asphalt.
Niall wollte gehen und wollte bleiben; er wollte Gabriel zurufen, dass er aus dem Weg gehen solle, damit Bananach der Verwirrung und Depression ein Ende bereiten konnte, die auf ihm lasteten; und er wollte Gabriel dazu auffordern, sie in Stücke zu reißen. Aber er stand nur reglos da und sah den beiden zu, ebenso passiv, wie er sich von Bananach an diese Stelle hatte locken lassen.
Es war kein wirklich schöner Anblick, Gabriel in Aktion zu sehen, aber es lag dennoch eine brutale Harmonie in seinen Bewegungen. Wie den Tänzen der Sommermädchen wohnte auch Gabriels Kampfstil ein Rhythmus, eine ganz eigene Musik inne. Doch Bananach parierte die Angriffe des Hundselfen furios. Die Rabenfrau wich aus und schoss schadenfroh davon, um gleich darauf umzudrehen und in voller Fahrt auf Gabriel herabzustürzen. Von irgendwoher zückte sie ein Schwert aus Knochen, das ein übernatürliches Licht verströmte. Ihre schwarzen Krallen hoben sich von dem weißen Knochen und dem roten Blut ab, als sie das Schwert von der linken Augenbraue bis zur rechten Wange durch Gabriels Gesicht zog.
Das frische Blut riss eine Gruppe von Bananachs Söldnerelfen, die ihnen von der Straße auf das eingezäunte Grundstück gefolgt
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