Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Seine Haut schimmerte, als Bananachs frisches Blut in seine Handfläche sickerte. Ein anderer Ly Erg kam heran und legte seine Hand auf Gabriels blutiges Gesicht. Obwohl sie alle nur wenige Augenblicke zuvor noch eifrig versucht hatten, sich gegenseitig aufzuspießen, zu verstümmeln oder auf andere Weise kampfunfähig zu machen, waren sie nun wenige seltsame Augenblicke lang beinahe herzlich miteinander. Die Söldnerelfen sogen genüsslich den Schmerz und das Blut ein, ohne in diesem Moment des Festmahls einen Gedanken an den zurückliegenden Kampf zu verschwenden.
Dann wandte Gabriel sich dem Ly Erg zu, der neben ihm stand, um seine immer noch blutenden Wunden zu berühren, und sagte: »Genug jetzt. Verschwindet hier. Vielleicht könntet ihr morgen ja mal versuchen, gehorsam zu sein.«
»Vielleicht könntest du morgen ja mal versuchen, mir nicht in die Quere zu kommen.« Bananach erhob sich und warf mit einem verächtlichen Blick ihre langen Federn über die Schulter nach hinten. Sie mochte ja verletzt und wacklig auf den Beinen sein, aber einschüchtern ließ sie sich von niemandem. Mit einer Feierlichkeit, die ebenso unheimlich war wie ihre Gewalttätigkeit, richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf Niall. »Überleg dir mal, was du eigentlich willst, Gancanagh – und was das Richtige ist. Dem König der Finsternis zu vergeben? Dem Sommerkönig zu vergeben? Oder zuzulassen, dass ich dir Gerechtigkeit, Schmerz und Krieg bringe – und alles, wonach du dich noch sehnst? Dann wären wir beide glücklich.«
Sobald sie außer Sichtweite war, fragte Gabriel: »Mag ja sein, dass du Irial im Stich gelassen hast, Gancanagh, aber willst du wirklich, dass dieses Pack an unserem Hof bestimmenden Einfluss bekommt? Willst du dieser Kreatur unter die Arme greifen?«
»Ich halte mich aus alldem raus. Das ist nicht mein Hof.« Niall setzte sich neben den Hund. Er war sich nicht sicher, aber es fühlte sich an, als wäre eine seiner Rippen gebrochen.
Gabriel schnaubte. »Es ist ebenso sehr dein Hof wie meiner. Du bist bloß ein zu großer Verräter, um es zuzugeben.«
»Ich bin nicht wie du. Ich bin nicht ständig auf Streit und Kampf aus oder …«
»Aber du kannst auch nicht untätig dabeistehen, wenn es kracht. Außerdem ist Irial auch nicht so scharf auf Kämpfe. Dafür hat er ja mich .« Der Hundself grinste und wies auf die zerbrochenen Fensterscheiben und zertrümmerten Steine. »Zum Hof der Finsternis gehört mehr als einfach nur Gewalt. Du stehst für eine andere Art der Finsternis. Aber in das Reich der Schatten gehören wir beide.«
Niall ignorierte, was Gabriel ihm damit sagen wollte. »Ich habe dem Sommerhof den Rücken gekehrt. Das ist der Grund, weshalb Bananach hier war – weil ich nun ungebunden bin, Freiwild, leichte Beute.«
Gabriel klopfte Niall anerkennend auf die Schulter. »Ich wusste, dass du das irgendwann begreifen würdest: Du gehörst nicht zu denen. Wenn du noch ein, zwei Dinge mehr kapiert hast, kommst du auch wieder auf die Beine.«
Damit hob er einen zerbrochenen Ziegelstein auf und schleuderte ihn auf die noch leuchtende Straßenlaterne. Als das Glas zersprang und die Splitter auf den Boden regneten, stand er auf und ging.
»Gabe?«
Gabriels Schritte wurden nicht langsamer oder zögerlicher, doch Niall wusste, dass der Hund ihm zuhörte.
»Ich werde ihm Leslie nicht einfach überlassen. Sie verdient es, ihr Leben zu leben. Irial kann es ihr nicht einfach so wegnehmen.«
»Du bist noch immer schwer von Begriff.« Gabriel wandte sich ihm wieder zu. »Sie ist jetzt ein Teil des Hofes. Genau wie du. Sie gehörte schon zu uns, seit ihr sterbliches Fleisch zum ersten Mal mit der Tinte in Berührung kam. Was glaubst du, warum wir sonst alle ihre Nähe suchen? Ich hab gesehen, wie schwer es dir fiel, ihr zu widerstehen. Gleich und Gleich gesellt sich nun mal gern. Ihr gehört beide Irial, und da sie eine Sterbliche ist …«
Niall erstarrte.
Gabriel lächelte ihn mitleidig an. »Reib dich nicht an Dingen auf, die sich deinem Einfluss entziehen … und mach dir nicht so viele Gedanken wegen dieses Mädchens. Du müsstest von allen Elfen am besten wissen, dass Iri durch nichts dazu zu bewegen ist, aufzugeben, wen er für sich beansprucht. Er ist da genauso stur wie du.«
Damit sprang der Hundself in seinen Mustang und entschwand in die Dunkelheit. Und zum dritten Mal in weniger als zwei Tagen blieb Niall mit Antworten zurück, die ihn eher noch mehr verwirrten, als dass sie seine
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