Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
sie dort stand und seine Teetassen abwusch, aber sie konnte sich einfach nicht überwinden zu gehen. Als sie die Tassen wegräumen wollte, entdeckte sie, dass das ganze übrige Geschirr, bis auf die Sachen, die sie ihm gekauft hatte, verschwunden war. Warum hat er alles mitgenommen? Und warum hat er die Teekanne, die ich ihm geschenkt habe, nicht mitgenommen?
Irgendwas stimmt hier nicht. Es war nicht Seths Art, einfach so zu verschwinden.
Sie sah sich um und fand die Scherben im Müll. Irgendwer hatte das Geschirr zerschmissen und dann aufgeräumt. Wenn Boomer nicht gefehlt und Seth nicht so aufgeregt geklungen hätte, würde sie glauben, dass er in Gefahr war.
Er hat Boomer mitgenommen.
Ihre Gefühle lauerten zu dicht unter der Oberfläche, und seit sie die Sommerkönigin war, durfte sie so etwas nicht zulassen, nicht bei Gefühlen dieser Art. Sie hatte die Auswirkungen von Keenans Stimmungsumschwüngen gesehen – Miniatur-Tropenstürme, die in kleinen Räumen eingesperrt waren, einen Schirokko auf einer Straße in der Stadt – und sie hatte mitgeholfen, die Folgen dieser emotionalen Turbulenzen einzudämmen. Ihre Gegenwart beruhigte ihn. Selbst nach neun Jahrhunderten als Sommerkönig passierten ihm diese Entgleisungen noch manchmal, aber seine Unwetter waren nichts im Vergleich zu dem überwältigenden Albtraum, dessen Pulsieren sie in sich spürte.
Sie konnte mit diesen Emotionen nicht allein fertigwerden.
Draußen vor dem Wagen war es dunstig, als würde Nebel vom Meer hereinwehen, aber es gab kein Meer in der Nähe von Huntsdale. Der Nebel kam von ihr. Sie spürte es, während ihre Verwirrung, ihre Angst, ihre Wut und ihre Verletztheit sie immer stärker durchfluteten.
Seth ist weggegangen.
Sie ging zur Tür und zog sie hinter sich zu.
Seth ist weg.
Ihre Schritte durch die Stadt zeugten von schierer Willenskraft. Sie war wie betäubt. Wachen sagten etwas zu ihr. Elfen blieben stehen, als sie an ihnen vorbeiging. Nichts davon war wichtig. Seth war weg.
Wenn Bananach oder irgendjemand anders ihr etwas tun wollte, dann war dies der optimale Zeitpunkt dafür, denn sie nahm nichts anderes mehr wahr als die permanente Wiederholung seiner Mailboxnachricht an ihrem Ohr, die sie wieder und wieder abspielte.
Als sie am Loft ankam, war alles, was sie über das Leben wusste, auf eine Tatsache reduziert: Seth war gegangen.
Sie öffnete die Tür. Die Wachen sprachen gerade mit Keenan. Irgendein Gerede darüber, dass sie rücksichtslos sei, drang aus ihren Mündern. Andere gaben noch mehr lautes Zeug von sich. Die Vögel schnatterten. Doch all das war bedeutungslos.
Keenan stand in der Mitte des Raums; überall um ihn herum schossen Vögel durch die Bäume und Weinreben. Normalerweise entspannte sie dieser Anblick. Diesmal jedoch nicht.
»Er ist weg«, sagte sie.
»Was?« Keenan wandte weder den Blick von Ashlyn ab noch ging er auf sie zu.
»Seth. Er ist gegangen.« Sie war sich noch immer nicht sicher, ob sie eher schockiert oder verletzt war. »Er ist weg.«
Der Raum leerte sich lautlos, bis Ashlyn und Keenan allein waren. Tavish, die Sommermädchen, Quinn, mehrere Ebereschenmänner – sie alle huschten hinaus.
»Seth ist weg ?«
Ohne sich die Mühe zu machen, ganz ins Zimmer hineinzugehen, setzte sie sich auf den Boden. »Er sagt, er wird sich melden, aber … Ich weiß nicht, wohin oder warum oder irgendwas . Er war sauer auf mich, und jetzt ist er weg. Als er neulich Abend aus dem Loft gegangen ist, hat er gesagt, er braucht Abstand, aber ich hätte nicht gedacht, dass er so was gemeint hat. Ich rufe ihn andauernd an. Aber er geht nicht dran.«
Sie sah zu Keenan hoch. »Was, wenn er nicht zurückkommt?«
Zwanzig
Seth stand mit Bananach auf einem der älteren Friedhöfe Huntsdales. Zwischen den verfallenen Häusern und graffitiverschmierten Wänden wirkte er geradezu wie eine Oase. Hier kam er manchmal mit Freunden her; der Ort war ihm von stundenlangen Spaziergängen mit Ashlyn zwischen den Gräbern vertraut. Heute jedoch spürte er eher Beklemmung als das Wohlgefühl, das ihn dort sonst immer überkam.
»Hier ist es? Hier ist die Tür?«, fragte er.
»An manchen Tagen. Nicht immer.« Sie wies nach vorn, an einigen schiefen Steinen vorbei, die aneinanderlehnten. »Heute ist sie hier.«
Dank seiner Sehergabe und seinem Amulett gegen Elfenzauber konnte Seth die Barriere erkennen, die sich vor ihnen befand. Er hatte schon andernorts solche Schranken bemerkt – im Park vor dem Loft, in der
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