Sommerlicht Bd. 3 Für alle Ewigkeit
war. Statt eines roten Teppichs erstreckte sich eine lange Bahn aus smaragdgrünem Moos vor dem Eingang.
Die Rabenelfe trat auf das Moos.
»Komm, Sterblicher«, rief sie. Sie schaute nicht zurück, um sich zu vergewissern, dass er hinter ihr herkam; sie erwartete einfach, dass er gehorchte.
Und Seth wusste, dass ihm nicht viel anderes übrig blieb. Der Schleier, den er durchschritten hatte, war undurchdringlich. Er konnte also entweder auf dieser Straße stehen bleiben oder ihr weiter folgen.
Ich bin nicht hergekommen, um kurz vor dem Ziel wegzulaufen.
Er konnte nur hoffen, dass er keinen Fehler beging, als er auf den Moosteppich trat und durch den hell erleuchteten Eingang schritt.
Die Hotellobby war voller Elfen, die in kleinen Gruppen zusammenstanden und redeten, lesend in Sesseln saßen oder auch schweigend irgendwelche Gegenstände anstarrten. Auf Beistelltischen lagen ordentlich aufgestapelte Bücher. Ein weiß verschleierter Mann staubte eine Elfe ab, die offenbar schon eine ganze Zeit lang meditierte.
Ohne nach links oder rechts zu sehen, ging Bananach an ihnen vorbei in einen steril aussehenden Korridor. Die Elfen, die sie bemerkt hatten, erstarrten; einige huschten hinaus. Geflüsterte Worte vermischten sich in der Stille des Raums zu einem anhaltenden leisen Zischen, während Seth an ihnen vorbeischritt. Ihre Andersartigkeit war ausgeprägter als bei den Bewohnern des Sommerhofs oder des Hofs der Finsternis. Zwar sahen viele von ihnen beinahe aus wie Sterbliche, doch sie strahlten eine Ruhe aus, die abwechselnd räuberisch und verächtlich wirkte. Es war beängstigend.
Die Rabenelfe schien von alldem nichts wahrzunehmen. Ihre fedrigen Haare flatterten wie ein Banner hinter ihr her, während sie durch die Flure fegte, Treppen hinauf- und hinablief und immer wieder plötzlich irgendwo abbog. Er spürte und hörte das leise Dröhnen von Kriegstrommeln, das im ganzen Gebäude widerhallte; durch das Dröhnen wanden sich die Klänge von Flöten und Hörnern. Der Lärm ließ seinen Puls rasen vor Furcht, doch er ging weiter hinter Bananach her.
Die Musik wurde schneller, während sie durch leere Räume eilten, nahm einen wilden Rhythmus an, der jedes Herz bei dem Versuch, Schritt zu halten, zum Bersten gebracht hätte. Dann brach sie genau in dem Moment abrupt ab, als Bananach ihre Hand flach auf eine geschlossene Tür legte und »Da wären wir« murmelte.
Sie öffnete die Tür, die in einen riesigen Festsaal führte. Der Boden war aus geschliffenem Marmor. Gobelins und Kunst vom Rang der berühmtesten Meisterwerke säumten die Wände. Manche Bilder wurden von naturbelassenem Silber eingerahmt, andere waren in einfache Holzrahmen eingefasst und weitere steckten in Rahmen, die aus Glas zu sein schienen. In regelmäßigen Abständen im Raum verteilte, weinumrankte Marmorsäulen trugen die sternenübersäte Decke. Obwohl Seth klar war, dass es keine echten Sterne sein konnten, starrte er die Illusion mit offenem Mund an.
Als er stehen blieb, um ehrfürchtig die Sterne und die Kunstwerke zu bestaunen, schob Bananach sich vor ihn und sagte: »Ich bringe dir ein Lamm.«
Widerstrebend lenkte Seth seinen Blick von den Wundern um sich herum auf die Elfe, die in der weiten Leere des Raums auf einem Sessel mit hoher Rückenlehne saß. Sie war die, die ihn retten oder alle seine Träume zunichtemachen konnte. Ihre Haare waren wie Feuer: flackernde Abstufungen von Hitze, die mal sichtbar, mal unsichtbar wurden, während er versuchte, sie anzusehen. Ihre Haut war wie der Schleier aus Mondlicht, durch den er das Elfenreich betreten hatte, als wäre sie selbst aus diesem kalten Licht gemacht. Doch während er sie beobachtete, veränderte sich auch ihre Haut. Sie wurde so dunkel wie die Tiefen des Universums. Sie war Licht und Schatten, Feuer und Kälte, Weiß und Schwarz. Sie war beide Seiten des Mondes, alles, Perfektion.
Die Königin des Lichts. Sorcha. Es konnte niemand anders sein. Von Natur und Kunst umgeben saß sie in ihrem leeren Festsaal und grübelte über einem Brettspiel.
Er griff nach dem Amulett an seinem Hals und strich mit dem Daumen darüber, als wäre es ein Handschmeichler. Trotz seiner schützenden Wirkung spürte er den Drang, ihr seine Verehrung zu zeigen. Die Versuchung, auf die Knie zu fallen und ihr seine Seele darzubieten, war fast so stark wie der Instinkt, der ihn atmen ließ. Sie setzte automatisch ein und war beinahe unwiderstehlich.
»Ein Lamm?« Der Blick der Königin des Lichts
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