Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
Schnauzen an. Fell strich um ihre Beine. Das Geheul wurde lauter und schriller.
Ani breitete die Arme aus, und die Tiere begannen, immer zügiger um sie herumzulaufen, bis sie nur noch ein verschwommener Streifen aus weißen Zähnen und grünen Augen, nach Moschus riechendem Fell und knurrenden Kehlen waren. Sie rannten schneller und schneller und drückten sich dabei an Ani.
Rae stellte sich vor, dass sie selbst außerhalb von diesem Kreis stand, möglichst weit weg auf dem Weg.
Ein Wolf nach dem anderen sprang in die Mitte des Kreises, wo Ani stand, und verschwand darin. Sie waren Teil von ihr – der Teil, der erwachen und die Welt verändern würde.
Wenn . Das war das Schlimmste für Rae: zu wissen, dass die Zukunft, die sie so sehnlich herbeiwünschte, nur ein Wenn war. Sie wusste nicht, wie die anderen Optionen aussahen, aber die Zukunft, auf die sie einen Blick erhascht hatte, war die, die sie wollte, denn es war eine, in der sie zum ersten Mal unabhängig sein würde. Bitte, Ani.
»Ich hoffe, du kannst ihm vergeben«, flüsterte Rae. »Er ist kein Monster. Ebenso wenig wie du.«
Und damit verschwand sie aus Anis Kopf.
Nach ihrem Aufenthalt in diesem Traumwald kam Rae die Höhle noch enger vor als sonst. Sie lief darin herum und zählte die Schritte, als würde es den kleinen Raum größer machen, wenn sie Zahlen vor sich hin murmelte. Es funktionierte nicht.
Die Dunkelheit, die Zeit für Träume, war Raes angestammter Ort. Allerdings hatte Sorcha in den letzten Wochen darauf bestanden, dass es im Elfenreich nur wenige Stunden dunkel war. Der Mond durchlief nicht seine normalen Phasen. Stattdessen blieb er fast immer voll am Himmel und goss sein silbriges Licht über sie, als wären sie alle in einem nicht endenden Tag gefangen. Ohne Dunkelheit konnte Rae nicht hinausgehen. Sie saß in der kleinen Höhle, die ihr Gefängnis war, in der Falle.
»Rae?« Devlin stand am Eingang zur Höhle. Das Licht von draußen umspielte ihn, erleuchtete ihn und ließ ihn noch übernatürlicher erscheinen. Seine dicken weißen Haare glichen die Strenge seiner Gesichtszüge ein wenig aus, wenn er sie so offen trug, doch nicht so stark, dass seine kantigen Wangen etwas Menschliches bekommen hätten.
»Du bist da.« Rae veränderte ihre Kleidung, um sich an Devlins festlicheren Stil anzupassen. Ihr Kleid war blassrosa und so lang, dass der Saum den Boden berührte. Es hatte eine betonte Taille, ansonsten war das Oberteil eher schlicht. Ihre fast bodenlangen Haare waren mit vergoldeten Kämmen hochgesteckt. Der einzige Schmuck außer diesen Kämmen war ein schwarzes Band mit einer Brosche um ihren Hals. Wenn Devlin genauer hingeschaut hätte, hätte er gesehen, dass sie sein in Elfenbein geschnitztes Bild zeigte.
Seine harte Miene entspannte sich etwas. »Du musst dich doch nicht für mich umziehen.«
»Ich weiß«, log sie. Natürlich musste sie es, wenn es ihr das Lächeln bescherte, nach dem sie sich so sehnte!
Er war so gestresst, dass seine Schultern ganz verspannt waren. »Ich muss wieder in die Welt der Sterblichen zurück.«
Rae erstarrte. »Schon wieder?«
Devlin ging weiter in die schattige Höhle. »Ich bin nicht sicher, wie lange ich diesmal dort bleiben muss.«
»Mit der Königin des Lichts stimmt etwas nicht. Sie lässt es gar nicht mehr dunkel werden.« Rae konnte über die Felsspalte, durch die Devlin eingetreten war, nicht hinaussehen. Die Helligkeit, die durch diese schmale Öffnung hereindrang, war schmerzhaft. Wenn sie sich ihr ausgesetzt hätte, wäre sie erblindet.
»Licht beruhigt sie. Dunkelheit erinnert sie an ihre Zwillingsschwester.« Er stand nun ganz im Schatten und seine Anwesenheit war tröstlicher als je zuvor. Der Assassine der Königin des Lichts war Raes Freund, ihr Gefährte, ihr einziger Trost in einer Welt, die für sie – selbst nach Jahrzehnten – immer noch wenig Sinn ergab.
Rae lehnte sich an einen flachen Stein an der Seitenwand der Höhle. »Ich könnte mit dir kommen.«
Devlin wahrte den Abstand. »Und wenn du zurück in deinen Körper gezogen wirst, sobald du wieder in der Welt der Sterblichen auftauchst?«
» Wenn ich in meinen Körper hineingezogen würde , was ich nicht glaube, würde ich wohl sterben.« Sie ging ein wenig näher an ihn heran.
Devlin bewegte sich nicht von der Stelle. »Was ich nicht möchte.«
Einen Moment lang standen sie schweigend da. Sie hasste es, allein im Elfenreich zurückgelassen zu werden. Sie ängstigte sich vor der Königin des
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