Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
sie.
Devlin beobachtete Ani. Er war fasziniert wie nie zuvor. Sie hätte nicht mal am Leben sein dürfen! Wenn er seiner Königin gehorcht hätte, wäre sie schon lange tot. Aber sie war hier und sprühte nur so vor Leben .
Nach dem ersten Mal hatte er nie wieder versucht, sie zu finden. Er hatte sie hier und da mal im Vorbeigehen gesehen, sich aber von ihr ferngehalten. Nur ein einziges Mal war er absichtlich mit ihr zusammengetroffen, als er ausgesandt worden war, um sie zu töten – und es nicht getan hatte. Als er sie jetzt betrachtete, fragte er sich, ob er dieses Versehen nicht korrigieren sollte.
Rae hat mich gebeten, Ani zu verschonen, aber nicht, sie für immer leben zu lassen.
Das Hintertürchen war da, es war immer schon da gewesen. Ani war der lebende Beweis für Devlins Betrug, der Beleg seines Versagen – und zugleich die hinreißendste Elfe, die er je gesehen hatte.
Sieben
Ani verlor sich über Stunden in der Musik und dem wogenden Meer aus Körpern. Diese Clubnächte waren von essentieller Bedeutung für sie, da ihre Hungergefühle immer intensiver wurden. Als Gabriel sie aus ihrem Zuhause bei Rabbit geholt hatte, hatten ihre Familie und ihr Hof sich benommen, als hätte sie vor ihnen geheim gehalten, dass sie sich von den Gefühlen Sterblicher ernähren konnte. Aber das stimmte nicht: Diese Fähigkeit war neu. In den letzten Monaten war dazu passend ein Hunger auf Berührung hinzugekommen. Und sie konnte beides nicht verlässlich kontrollieren – sie versuchte es vergeblich, seit sie es zum ersten Mal selbst bemerkt hatte.
»Macht es dir was aus, wenn wir noch mal rausgehen?«, schrie Tish ihr ins Ohr und zeigte auf den Rand der Menge. Glenn hatte gerade wieder Pause, und wie in jeder zuvor hatte er Tish zielsicher ausfindig gemacht. Jedes Mal, wenn er zu ihnen kam, fragte Tish, und jedes Mal schüttelte Ani den Kopf. Niemals hätte sie sich gegen etwas gestellt, was jemanden in ihrer Familie glücklich machte.
Doch bevor Tish Glenns Hand ergreifen konnte, fasste irgendein Typ, der sich anscheinend für den Abend als Punk gestylt hatte, Tish um die Taille.
Ani knurrte so laut, dass Tish sie alarmiert ansah. »Ani!«
Ani wandte ihren Blick Tish zu und zwang sich zur Beherrschung. Der fremde Typ ließ irgendeinen derben Spruch los und verzog sich.
»Die Augen!«, zischte Tish. »Deine Augen! Schnell!«
»Tut mir leid.« Ani schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, das schwefelige Grün daraus zu vertreiben, das Tish plötzlich darin gesehen haben musste.
»Mir ist ja nichts passiert, NiNi«, versicherte Tish. Sie beugte sich zu ihrer Schwester hin und schlug vor: »Aber du solltest was essen.«
Hier in der Menge, umgeben von Körpern, konnte Ani die Zügel ein wenig locker lassen und ihren Appetit stillen. Sie war Dunkelelfe genug, um sich von Emotionen tragen zu lassen, Hund genug, um Berührungen zu schlucken, und merkwürdig genug, um beides sowohl mit Sterblichen als auch mit Elfen zu tun. Das Crow’s Nest bot ihr alles auf einmal.
Ani schlug ihre nun wieder braunen Augen auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte Tish. »Ich kann ja bei dir bleiben. Rab geht jetzt, wo er weiß, dass bei uns alles okay ist, wieder nach Hause, und …«
Ani schüttelte den Kopf. »Mir geht’s gut. Geh ruhig.«
»Wenn du …«
»Geh.« Ani schob ihre Schwester sanft in Glenns Arme.
Er blickte sie fragend an. Er mochte zwar nicht wissen, was sie war und brauchte, aber er kannte sie schon lange genug, um ihr anzusehen, dass Ärger in der Luft lag.
Wie halten die anderen Hunde das aus? Gabriel kam damit klar, indem er kämpfte, Rabbit, indem er Tattoos machte, und Tish schien keinen Hunger auf Haut zu haben. Vielleicht war es leichter, wenn man nur einen Appetit unterdrücken musste. Vielleicht war es leichter, wenn man ein Rudel hatte, an dem man sich reiben konnte. Anstatt dauernd allein zu sein .
Ani bewegte sich tiefer in die Menge hinein und hoffte, dass das Gewühl dort groß genug war, dass sie sich wieder ganz darin verlieren konnte.
Während sie an den ausgestreckten Armen und kreisenden Hüften vorbeiglitt, fiel ihr Blick auf ihn: Am Rand der Menge stand ein Elf, gerade nah genug, dass sie ihn als Neuzugang erkennen konnte. Ungebundene Elfen kamen regelmäßig durch Huntsdale. Mehrere Regenten an einem Ort waren eine Ausnahme, und Elfen fühlten sich von Anomalien angezogen.
Der Elf am Rand der Menge nahm die anerkennenden Blicke, die ihm zugeworfen wurden, überhaupt nicht
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