Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
sich nun mit dem neuen König der Finsternis teilte.
Sie streckte die Hand nach dem gähnenden Maul eines Messing-Gargoyles aus. Als der Gargoyle seine Kiefer über ihren Fingern schloss, durchzuckte sie ein herrlicher Schmerz und ließ sie aufseufzen. Bevor sie ihn richtig genießen konnte, war der Biss schon wieder vorbei, und sie wurde eingelassen – sie war auf der Liste derer, deren Zutritt Irial ausdrücklich erlaubt hatte, selbst zu dieser Stunde.
»Bist du verletzt? Oder sonst jemand?« Irials Kleidung wirkte, als hätte er jemand anderen erwartet als sie: Er trug eine tiefblaue Seidenpyjamahose und sonst nichts.
»Nein. Ich langweile mich. Und bin unruhig. Wie immer, weißt du doch.« Sie klang trotziger, als sie eigentlich gewollt hatte.
»Armer kleiner Welpe.« Lächelnd trat er einen Schritt zurück, damit sie hereinkommen konnte.
Sobald sie im Haus war, schlüpfte sie aus ihren Schuhen. Die Diele fühlte sich ganz glatt an unter ihren Füßen und kälter, als überhaupt möglich schien; darauf zu gehen, tat fast schon weh. Ein wohliger Schauer überlief sie.
Die Tür schloss sich ganz von selbst, und Ani blieb stehen, um Irial vorgehen zu lassen. Er war sehr eigen, was die Auswahl des Raums anging, in dem er seine Besucher empfangen wollte, weshalb man ihm besser folgte, als selbst voranzugehen. Außerdem hatte es den Vorteil, dass sie ihn anschauen konnte.
»Bist du … Ich meine, ist er …« Sie war sich nicht sicher, wie sie sich ausdrücken sollte, wenn es um Irial und Niall ging; das Problem hatten alle am Hof. »Ist der König hier?«
Irial schaute sie über die Schulter hinweg an. »Niall ist … unterwegs.«
Ani konnte die Traurigkeit des früheren Königs schmecken. Er hielt sich selbst unter Kontrolle. Die Schatten um ihn herum bewegten sich, streckten sich aus und krochen über die Wände, doch seine geisterhaften Abgrundwächter tauchten nicht auf.
»Er ist ein Dummkopf.« Sie wandte trotz des Schattenspiels um ihn herum den Blick nicht ab.
»Nein«, murmelte Irial. »Er ist nachsichtiger, als ich es jemals verdienen werde.«
Sie betraten denselben Raum, in dem er sie im Arm gehalten hatte, als sie nach der schmerzhaften Umarmung der Distelelfe mit den Tränen gekämpft hatte. Irial hatte sie damals getröstet. Nach den Tests blieb er immer bei ihr, bis sie nicht mehr schreien oder weinen wollte.
Heute Nacht jedoch hielt er Abstand. Er ging zu einem eleganten, vor Taschenbüchern überquellenden Regal aus Mahagoni und strich geistesabwesend mit der Hand über die zerlesenen Bücher, während er die Mauer, die seine Gefühle abschirmte, bröckeln ließ und damit seine Sorgen und Sehnsüchte bloßlegte. Seine Miene konnte sie jedoch nicht sehen, da er ihr den Rücken zuwandte.
Ani spazierte im Zimmer umher. Die unbändige Freude von vorher hatte nachgelassen, doch ihre Nerven waren zu überreizt, als dass sie hätte stillsitzen können. Neben ihm blieb sie stehen.
Er drehte sich um.
Ani legte versuchsweise ihre Arme um seinen Hals. »Gabriel weiß, dass du mir hilfst. Wir könnten uns gegenseitig unterstützen.«
Da er stillhielt, beugte sie sich weiter vor. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn küsste, aber erstmalig tat sie es mit der Absicht, sich mehr zu nehmen. Nicht mal Gabriel wäre so dumm, Irial zu sagen, er könne sie nicht haben, wenn der ehemalige König der Finsternis sie wollte.
Einige viel zu kurze Augenblicke lang erwiderte er ihren Kuss, aber als sie ihre Hüfte an ihn schmiegte, nahm Irial sie bei den Schultern und schob sie von sich weg. Sein missbilligender Blick brachte die meisten Elfen des Hofs der Finsternis noch immer dazu, sich eilig aus dem Staub zu machen und in Deckung zu gehen. »Daraus wird nichts, Ani.«
»Vielleicht, wenn du mich probieren lässt …« Sie schmeckte noch dunkle Schokolade auf ihren Lippen; Torfrauch hing überall um sie herum in der Luft. Irial schmeckte wie die Sünde, und sie wollte mehr davon.
»Nein.« Irial setzte sich aufs Sofa und klopfte auf das mittlere Polster.
Sie ließ sich auf das andere Ende fallen und streckte die Beine aus, so dass sie auf seinem Schoß lagen.
Er sah sie leicht amüsiert an, forderte sie aber nicht auf, die Beine wegzunehmen.
»Willst du ab jetzt enthaltsam leben oder so was?« Sie lehnte sich zurück, sank tief in die Polster, legte einen Arm über den Kopf und ließ ihn über die Lehne des Sofas herabbaumeln.
»Nein, aber ich nehme Gabriels Tochter nicht mit in mein Bett.« Er
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