Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
drohte, sonst in ihren sterblichen Körper zurückzukehren, drohte damit, sich – und ihn – an Sorcha zu verraten.
»Du verheimlichst mir etwas.« Devlin baute sich in der Höhle vor ihr auf und blickte sie an. »Die Hundselfe kann dir doch ganz egal sein.«
»Ist sie aber nicht«, beharrte Rae. »Ich bitte dich nur um diese eine Sache. Du hast mir vor Jahren versprochen, dass ich drei Wünsche erfüllt bekomme. Ich habe dich gebeten, mir zu erlauben, deinen Körper mit dir zu teilen; ich habe mir gewünscht, dass du mich beschützt. Dies ist das Letzte, worum ich dich bitten werde.«
»Du möchtest, dass ich meiner Königin den Gehorsam verweigere? Wenn sie das jemals erfährt …« Devlin kauerte vor Rae nieder. »Verlang das nicht von mir, Rae.«
Rae streckte die Hände aus und legte sie auf seine, als könnte sie ihn wirklich berühren. »Sie ist wichtiger, als ich dir sagen kann. Du musst mir diesen letzten Wunsch erfüllen.«
»Dafür muss ich meinen Eid brechen. Meine Ehre. Meine Schwüre … Verlang das nicht von mir.«
»Du hast es mir versprochen.« Rae spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen. Aber so körperlos, wie sie war, lösten die Tränen sich, noch während sie ihr Gesicht hinabrannen, in Luft auf. »Bitte, Devlin. Das ist mein letzter Wunsch.«
»Ich kann unmöglich mein Versprechen halten und dem Eid gerecht werden, den ich meiner Königin geschworen habe.«
Er stand auf und sah auf sie herunter. »Bitte mich nicht, mich entscheiden zu müssen.«
Sie hasste sich dafür, dass sie das Gleiche tat, was seine Schwestern ihm angetan hatten. Und dennoch hob sie den Blick und sagte: »Ich bitte dich, dich zu entscheiden.«
Nachdem er gegangen war, hatten sie Monate nicht miteinander gesprochen. Er kam nicht und ließ sie nicht in seinem Körper wohnen. Nach einer Weile kehrte er dann doch zurück, aber sie konnten nicht darüber reden, ohne in Streit zu geraten. Sie hasste Heimlichkeiten, hasste die Eolas dafür, dass sie diesen Konflikt herbeigeführt hatten, und sich selbst, weil ihr keine Lösung einfiel.
Ohne ihn war sie ganz allein im Elfenreich und würde für immer eine flüchtige Existenz führen, nie wieder eine körperliche Empfindung haben. Sie hatte darüber nachgedacht. Es wäre unklug gewesen, diese Möglichkeit nicht in Erwägung zu ziehen.
Nun stand ihnen die Zukunft, die die Königin des Lichts zu verhindern gesucht hatte, unmittelbar bevor, und Rae musste alles tun, um sicherzustellen, dass sie auch tatsächlich wie gedacht eintrat.
Ohne gegen die Vorschriften der Eolas zu verstoßen.
Mit einer Furcht, die es ihr nicht zu unterdrücken gelang, schloss Rae die Augen und schwebte auf Devlin zu. Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie in der Welt der Sterblichen Träume besuchen konnte. Bisher war sie ausschließlich in Anis Träumen gewesen. Doch sie konnte Devlin überall finden. Auch Ani hatte sie ursprünglich aufgespürt, indem sie seinen Fäden gefolgt war: Seine Emotionen hatten bei dem Gedanken daran, Ani töten zu müssen, aufgeschrien, ebenso wie bei der Entscheidung, die Rae ihm aufgezwungen hatte. Ohne es eigentlich zu wollen, war Rae zu ihm gelangt – über hauchdünne Pfade, von deren Existenz sie zuvor nichts gewusst hatte. Aber sie war zu ängstlich gewesen, um in seinen Kopf einzudringen. Seine Zurückweisung wäre fast so schlimm wie sein Tod. Beides würde bedeuten, dass ich ihn verliere.
Dennoch konnte sie nicht herumsitzen und nichts tun. In den Träumen war sie nicht machtlos, dort verfügte sie über Stimme und Kraft. Also schlüpfte sie in den Traum, den er weit weg von ihr in der sterblichen Welt träumte.
»Rae? Was machst du hier?!« Devlin beobachtete, wie Rae seelenruhig in seinen Traum spaziert kam, als wäre es das Normalste der Welt. »Bist du verrückt? Du darfst nicht hier sein.«
Statt sich einschüchtern zu lassen, lächelte sie ihn beruhigend an. »Es ist ja nicht so, als wäre ich noch nie vorher in einem deiner Träume gewesen.«
» Im Elfenreich . Aber nicht hier.« Er ergriff ihre Hände und blickte sie prüfend an. »Bist du in Gefahr?«
Doch Rae war entspannt; tatsächlich sah sie ebenso hübsch aus wie in ihrer wahren sterblichen Gestalt. Seltsamerweise trug sie auch das einfache Kleid, in das ihr sterblicher Körper gehüllt gewesen war. Ihre Haare waren ebenso lang wie in Wirklichkeit und zu dem Zopf gebunden, den er selbst geflochten hatte.
»Mir geht es gut.«
»Was tust du?« Er ließ ihre Hände nicht los.
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