Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
Wasser alles hässlich wirken lassen, wenn man nicht genau hinsah. Doch sie war aus diesen Schatten hervorgegangen. Sie sah Schönheit, wo manche nur Schmutz erblickten.
Aber natürlich war nicht alles schön, was aus der Dunkelheit kam, ebenso wenig wie alles, was im Licht stand. Das bestätigte sich auf furchterregende Weise, als Bananach erschien. Sie stand wie aus dem Nichts vor Ani. Wie Dunkelheit, die zwischen einem Atemzug und einem Schrei plötzlich Gestalt annimmt. Die Söldnerelfen hatten Ani in ihre Arme gelenkt.
»Mädchen. Tochter Gabriels.« Die Rabenelfe neigte ihren Kopf erwartungsvoll zur Seite. »Ich benötige dich. Komm.«
Einer der Ly Ergs von zuvor stand jetzt hinter Bananach.
Ani schluckte einen erschrockenen Aufschrei hinunter. Nur wenige Elfen jagten ihr Angst ein; die Kriegerin mit den rabenschwarzen Haaren gehörte definitiv dazu. Krallen und Schnabel, Asche und Blut – Bananach konnte sogar den König der Finsternis selbst aus der Ruhe bringen. Das wachsende Unbehagen und Misstrauen zwischen den Elfenhöfen hatte ihr so viel Kraft verliehen, dass sie sich selbst den stärksten Elfen entgegenstellen konnte.
»Die Herrin des Krieges befiehlt dir, ihr zu folgen.« Der Ly Erg machte entsprechende Gesten. »Widersetzt du dich?« Sein hoffnungsvoller Blick machte Ani klar, dass Widerstand keine erfolgversprechende Option war.
»Nein.«
»Braver Welpe«, lobte Bananach.
Weder Rabenelfe noch Ly Erg sprachen ein weiteres Wort, während sie auf ein Gebäude zugingen, das nicht so wirkte, als wäre es zu Anis Lebzeiten jemals bewohnt gewesen. Die Fensterscheiben waren mit schwarzer Farbe bestrichen und mit eisernen Gittern versehen, die aussahen wie Läden zum Schutz vor Wirbelstürmen. Das Haus stand nicht mehr als ein Dutzend Blocks von Nialls entfernt. Würde sie mich auf seiner Türschwelle töten? Die Antwort war, wie alles, was Bananach betraf, unmöglich zu erahnen. Der Krieg war von Natur aus sowohl unerschrocken als auch unberechenbar.
Bananach riss das Metall zur Seite und bedeutete Ani hineinzukriechen.
Anis Herz pochte so laut, dass sie den Herzschlag förmlich spürte. Von Bananachs Emotionen dagegen drang nichts bis zu ihr. Das ist nicht gut . Bevor sie das Haus betrat, fragte sie: »Bin ich Gast oder Gefangene?«
»Vielleicht.« Bananach bedachte Ani mit einem unergründlichen Blick und wies zum Fenster. »Geh jetzt, bevor du noch die Sicherheit meiner Soldaten gefährdest.«
Der Ly Erg wandte sich ab, wohl um auf seinen Posten zurückzukehren, und Ani kroch durch das Fenster in einen Raum, der aussah, als gehörte er zum Schloss eines mittelalterlichen Kriegsherrn: Schwerter und andere Waffen mit scharfen Klingen wurden darin geschmiedet, andere repariert. Doch kaum hatte Ani die seltsam veraltet wirkenden Tätigkeiten der Bewohner erfasst, bemerkte sie den eigenartigen Kontrast, den die gegenüberliegende Raumseite bildete: Dort standen riesige Schreibtische mit Computerbildschirmen darauf. Ani starrte sie verblüfft an.
»Du bist kein Teil der Meute. Und du gehörst nicht wirklich zu ihrem Hof.« Bananachs dunkle Augen waren Ani vertraut genug, um tröstlich zu wirken, auch wenn ihre Worte sie beleidigten.
»Doch, das tue ich.« Ani reckte das Kinn. »Unser König …«
» Dein König. Nicht meiner. Ich will keinen König.«
»Aber du hast einen Eid abgelegt«, flüsterte Ani.
»Ja, stimmt. Das ist der Grund, weshalb Niall noch nicht durch meine Hand gestorben ist. Und warum Irial schon so lange lebt.« Bananach starrte an Ani vorbei ins Leere. »Wird er kommen und dich holen, Tochter Gabriels? Würde er dich aus meinen Krallen retten?«
Ani war sich nicht sicher, welchen ›er‹ Bananach meinte. Gabriel? Niall? Irial? Irgendeinen anderen ›er‹? Klarheit gab es bei Bananach nicht.
Diese stand jetzt neben ihr und führte ihre Lippen an Anis Ohr. »Deinem Vater wird das gar nicht gefallen. Du darfst es ihm nicht erzählen. Du darfst ihm gar nichts erzählen.«
»Ihm erzählen, dass ich … Ich weiß nicht mal, was du meinst.« Ani versuchte respektvoll und ruhig zu sprechen, aber man konnte das Gerede der Rabenelfe unmöglich verstehen.
»Das ist eine gute Antwort, Tochter Gabriels. Sag ihnen dasselbe, wenn sie fragen. Schütze Unwissenheit vor. Ich werde für dich sprechen.« Bananach nickte, wie um etwas zu bekräftigen. »Frauengeheimnisse. Du gibst mir, was ich will, und ich gebe dir auch viel.«
»Aber was willst du denn?« Jetzt war sie sich sicher,
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