Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
murmelte er.
Die Boa sah ihn mit ihrem undurchdringlichen Blick noch mehrere Sekunden lang an, dann glitt sie zu Boden.
Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal unter Drogen gestanden hatte. Während Seths medizinischer Heiltrank ihm neue Kraft geschenkt hatte, hatte er ihm zugleich offenbar lächerliche Träume eingeflößt.
Devlin stand auf und nahm ein frisches Hemd und saubere Jeans von einem Kleiderstapel auf dem Sessel, den Seth offenbar dort abgelegt hatte. Ich bin zu häufig hier, wenn er schon Wechselkleidung für mich bereithält . Er war der Assassine des Lichthofs. Seit einer Ewigkeit fürchtete das Elfenreich ihn, und doch hatte ein erst kürzlich erschaffener Elf ihn unter Drogen gesetzt und offenkundig in seine Zukunft geschaut.
Ein Elf, von dem Sorcha mir gar nicht gesagt hat, dass er ein Seher ist.
Devlin hatte noch nie auf Überraschungen gestanden.
Die Tür ging auf und besagter Seher trat ins Zimmer. Er ließ eine abgewetzte Umhängetasche auf den Tisch seiner winzigen Küche fallen. »Guten Morgen, Bruder.«
»Hör auf, mich ›Bruder‹ zu nennen, und«, Devlin zeigte auf die zusammengerollte Boa, »steck die zurück in ihren Käfig. Ich mag es nicht, wenn sie über mich drüberkriecht.«
»Boomer mag dich.« Seth hob die Schlange hoch und trug sie zum Terrarium. Dann blickte er Devlin prüfend an. »Du siehst schon viel besser aus. Du solltest dich noch ein paar Tage ausruhen, bevor du wieder gehst.«
»Hör auf damit.« Devlin ließ die Kleider wieder auf den Sessel fallen und ging zu Seth. »Ich bin hier, um auf dich aufzupassen.«
»Nein, bist du nicht. Das warst du, aber deine Ziele haben sich geändert.« Seth schloss Boomers Terrarium.
»Du wirst nicht wieder gehen«, knurrte Devlin. Er verspürte den starken Drang, seine Hand um Seths Kehle zu legen. Doch Gewaltanwendung war an diesem Punkt völlig unlogisch. Ich bin ein Mitglied des Lichthofs . Er schob die Versuchung ganz weit in die Tiefen seines Hirns zurück.
Seth ging milde lächelnd zu dem Stapel mit Klamotten. Ohne sich auch nur im Geringsten anmerken zu lassen, dass die Stimmung zwischen ihnen feindselig war, legte er die Kleider, die obenauf lagen, beiseite, und trug den Rest zum Tisch. »Es gibt jetzt auch heißes Wasser.«
»Du wirst das Haus nicht verlassen, während ich bade.«
»Richtig.« Seth öffnete die Umhängetasche auf dem Küchentisch und schob die Kleider hinein. »Während du geschlafen hast, habe ich ein bisschen Proviant gekauft. Der ist auch hier drin.«
»Proviant?«
»Für deine Reise. Du wirst früher abreisen, als ich dachte. Die Dinge sind im Fluss.« Bevor Seth sich abwandte, konnte Devlin noch einen Blick auf den sorgenvollen Ausdruck erhaschen, der über Seths Gesicht huschte.
Zwölf
Ani schob die Decke weg und rekelte sich. Sie war noch müder als vor ihrer Ankunft bei Irial. Im Haus war alles still, als sie nach unten ging. An der Tür zum Salon blieb sie stehen. Von drinnen hörte sie leises Stimmengemurmel. Sie spürte die ineinander verhedderten Fäden von Sehnsucht und Ekel – und verließ das Haus.
Auf der obersten Stufe der Treppe blieb sie, den Gargoyle-Türklopfer im Rücken, zögernd stehen. Auf der Straße stand ein Ly Erg.
»Wo gehst du hin?«, fragte er.
»Dahin, wo du nicht hingehst.« Ani lief in die entgegengesetzte Richtung. Trotz der Mittagssonne zitterte sie.
Die Söldnerelfen mit den roten Handflächen unterstützten alle von Bananach ausgeheckten Intrigen – bis hin zu der regelmäßigen Androhung offener Meuterei am Hof der Finsternis. Es war unvermeidlich: Sie waren Söldner, ihnen war jeder Vorwand, einen Krieg anzuzetteln, willkommen. Kein Umgang für mich . Auch wenn sie ihre Zweifel hegte, was den neuen König der Finsternis anging, war Ani Irial gegenüber viel zu loyal, als dass sie Machenschaften gegen den König unterstützt hätte, den Irial für ihren Hof gewählt hatte.
Sie bog in die erste dunkle Gasse ein; normalerweise wartete ihr Hof an solchen Orten. Doch statt der beruhigenden Elfen entdeckte sie nur einen weiteren, sie ausspähenden Ly Erg. Sie lief durch eine andere Gasse, dann eine weitere, bis sie in den Teil der Stadt kam, der gemeinhin als der unattraktivste galt. Öl und Chemikalien schimmerten in Lachen aus braunem Wasser, das sich in Löchern im Asphalt sammelte. Die Welt spiegelte sich darin wider – etwas weniger hell und ein bisschen unschärfer. Ani fand sie schön so. Wie ihr eigener Hof konnte das dunkle
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