Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
»Tatsächlich?«
»Natürlich.« Sie krächzte, und der Schwarm schwarz gefiederter Vögel antwortete ihr.
»Du brauchst die Hundselfe«, wiederholte er.
Bananach betrachtete ihn voller Stolz. »Und du weißt warum, nicht wahr? Das ist der Grund, warum du sie nicht getötet hast. Ich verstehe es jetzt. Sie ist der Schlüssel. Mit ihrem Blut kann ich gewinnen . Nach all der Zeit, lieber Bruder, kann ich den Verstand besiegen.«
»Warum ich sie nicht …«
»Warum du sie nicht getötet hast.« Bananach streichelte seine Wange. »Als sie Ani zum Hof der Finsternis gebracht haben, als sie sie herbrachten wie ein kleines Lamm unter Wölfen, habe ich den Unterschied erkannt. Ich habe zugehört. Ich weiß, dass du derjenige warst, der ihr Leben nicht beendet hat.«
Devlin starrte seine Schwester an, stumm und voller Angst. Doch seine Hände zitterten nicht. Könnte ich sie zum Schweigen bringen? Er konnte sie genauso wenig töten, wie er Sorcha umbringen konnte. Wie wird man Probleme los, die man nicht töten kann?
»Irgendjemand ist nachts gekommen, hat die Mutter des kleinen Lamms abgeschlachtet, und der König der Finsternis selbst hat sie all die Jahre über beschützt.« Bananachs Daumen streichelte die Haut unter seinen Augen. Ihre Kralle ritzte sie auf, bis Blut aus einer dünnen Schnittwunde sickerte. »Und du … Ich habe gesehen, wie du sie im Club beobachtet hast. Ich wusste es.«
Er hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte. Sowohl die Wahrheit als auch der Versuch, sie in die Irre zu führen, konnten übel enden. Aber wenn er ging, verspielte er jede Chance, zu erfahren, was sie von Ani wollte. »Du merkst eine Menge.«
Sie lächelte. »Das war ein Test, aber ich …«
»Kein Test.« Er zog Bananachs Hand von seinem Gesicht weg. Während er seine Finger mit ihren verschränkte, fügte er hinzu: »Ich würde dich nie testen.«
Bananach seufzte. »Doch, hast du, aber ich habe es herausgefunden. Das Blut der Kleinen wird mir Kräfte verleihen, von denen sie keine Vorstellung haben.«
»In der Tat.« Devlin fühlte eine nie gekannte Angst in sich hochsteigen. Nicht um seine Königin, seinen Hof oder das Elfenreich selbst, sondern Angst um Ani. Doch nachdem er seine Emotionen eine Ewigkeit unterdrückt hatte, verschloss er auch diese Sorge in sich, damit seine Schwester sie nicht bemerkte, und sagte, was zu hören sie erwartete: »Du würdest also gegen die Königin des Lichts kämpfen.«
»Natürlich!«
Er blickte Bananach einfach nur stumm an, ohne mit ihr zu streiten.
Sie warf sich einen Zauber über, der sie wie Sorcha aussehen ließ, und lachte fröhlich. »Du bist ja so ein perverses Kind, Dev. Ich wusste immer, dass du mich verraten würdest. Als ich hörte, was du getan hast …« In Sorchas Maske gehüllt hielt sie kurz inne. »War ich schockiert. Enttäuscht. Du bist nicht wie ich, Devlin. Du gehörst nicht ins Elfenreich. Du hast nie wirklich hierher gehört.«
»Hör auf.«
Bananachs eigenes Gesicht kehrte zurück. »Du mochtest sie schon immer lieber, hab ich Recht?« Sie lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht an einen Maschendrahtzaun, der dabei ein unangenehmes metallisches Geräusch machte.
Devlin blickte sie an. »Sage ich ihr, wo du dich versteckst?«
»Wenn sie sich verstecken würde, würdest du es …«
»Hör auf.« Devlins Ruhe schwand. »Sie ist meine Königin. Sie gibt mir ein Zuhause, ein Leben und einen Grund zu sein.«
»Eines Tages werde ich den Hof übernehmen, der mir rechtmäßig zusteht, oder sie töten, und dann wirst du mir die Treue schwören.« Bananach sah untröstlich aus. Seit Jahrhunderten hatte sie sich schon auf dieselbe Sache versteift – nicht immer, nicht einmal regelmäßig, aber wenn sie nicht mehr weiterwusste, bestand Plan B stets aus Regentschaft und Schwesternmord. »Du hast die Hundselfe als Test benutzt, aber ich sehe, was sie für uns tun kann. Du hattest Zweifel, dass ich es herausbekommen würde, aber ich habe es kapiert.«
»Ich teste dich nicht, Schwester«, wiederholte er und verkniff sich die Bemerkung, dass Tests schließlich ihre Spezialität seien. Bananachs gesamte Beziehung zu ihm drehte sich ausschließlich um ihre Konkurrenzgefühle gegenüber ihrer Zwillingsschwester Sorcha. Er wurde in diesem Konflikt lediglich als Instrument eingesetzt.
»Wo essen wir zu Abend?«, fragte er.
»Wir könnten ein bisschen töten gehen?«
»Vielleicht.« Er hatte in ihrer Gesellschaft schon Schlimmeres getan – und das nicht
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