Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Auch wenn sie schon so viele Jahrhunderte lebte, das Muttersein war neu für Sorcha. Gefühle waren etwas Neues für sie. Kleinere Anpassungsschwierigkeiten waren da unvermeidlich.
Ihre Anpassungsschwierigkeiten hätten beinahe die Welt zerstört. Er legte einen Arm um sie und führte sie zu einer steinernen Bank. Wenn sie wütend würde … Die Vorstellung einer aufgebrachten, fast allmächtigen Königin jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Devlin hatte richtig gehandelt, als er die Pforte zur Welt der Sterblichen versiegelt und Sorcha hier im Elfenreich festgesetzt hatte.
Sorcha umklammerte seinen Arm so fest, dass er einen leisen Schmerzensschrei unterdrücken musste. »Was, wenn sie dich umbringt?«
»Ich glaube nicht, dass Bananach das tut.« Seth zog sie an sich und ließ sie ihren Kopf auf seine Schulter legen.
»Ich kann sie nicht mal verfolgen.« Sorcha, die Personifizierung der Vernunft, klang gereizt. »Ich habe schon versucht, durch die Pforte zu kommen.«
»Ja, das glaube ich sofort.« Er unterdrückte ein Lächeln, doch sie hob trotzdem den Blick und schaute ihn an.
»Du klingst amüsiert, Seth.«
»Seitdem du existierst, bist du allmächtig, aber jetzt gibt es plötzlich Einschränkungen … und Gefühle … und …« Er drückte sie kurz. »Du wolltest dich verändern, aber das ist nicht so leicht, wie du gedacht hast.«
»Ja, das stimmt … aber …« Sie runzelte die Stirn. »Warum ist das lustig?«
Er küsste sie auf die Wange. »Deine Sorgen und dein Wunsch, denen nahe zu sein, die du liebst, sind sehr menschlich. Obwohl du nicht meine leibliche Mutter bist, haben wir offenbar einige Charakterzüge gemeinsam. Ich kehre in die Welt der Sterblichen zurück, um mit denen zusammen zu sein, die ich liebe.«
Sie lehnte erneut den Kopf an seine Schulter. »Mir wäre es lieber, du würdest im Elfenreich bleiben, wo ich für deine Sicherheit sorgen kann.«
»Aber du verstehst doch, warum ich das nicht tun werde?«, fragte er.
Zunächst antwortete sie nicht. Sie blieb an seiner Seite und sie schwiegen eine Weile. Dann richtete sie sich auf und wandte sich ihm zu. »Es gefällt mir nicht.«
»Aber du verstehst es?« Er nahm ihre Hände, damit sie nicht weggehen konnte. »Mutter?«
Sie seufzte. »Wenn du getötet wirst, werde ich außer mir sein.«
»Und wenn ich deine Schwester töte?«
»Würde ich mich freuen«, erwiderte Sorcha leiser.
»War das dein Plan, als du mich in den Elfenstand erhoben hast?«
Sorcha wich seinem Blick nicht aus. »Für mich war wichtig, dass du stärker an meinen Hof gebunden bist als an die anderen. Mir war klar, dass ich nicht länger mit Bananach im Gleichgewicht sein würde, wenn ich dir einen Teil von mir schenke. Und ich glaubte schon damals – ebenso wie jetzt –, dass du der Schlüssel zu ihrem Tod bist.« Sie schaute weg. »Ich hielt es für möglich, dass auch du dabei sterben würdest, aber nicht, dass mir dein Tod etwas ausmachen würde.«
»Wir können unsere eigene Zukunft nicht sehen«, erinnerte er sie.
»Aber ich habe deine gesehen, bevor du mein wurdest. Du wärst gestorben. Wenn ich dich nicht neu erschaffen hätte, wärst du jetzt tot. Meine Schwester hätte dich gefoltert und deine Ash hätte ihren Hof in eine Schlacht geführt, die sie nicht hätte gewinnen können.« Sorcha runzelte die Stirn. »Gegen den Tod der Sommerkönigin hätte ich nichts einzuwenden, aber ich wollte nicht, dass die Kriegselfe bekommt, was sie will. Und ich dachte, wenn ich dir das hier gebe«, sie wies mit ausgebreiteten Armen auf das Elfenreich, »gehörst du mir und ich kann dich einsetzen, wie ich will.«
Seth verspürte dasselbe Unbehagen wie damals bei seiner ersten Begegnung mit Sorcha. Ihm fiel wieder ein, wie fremd sie ihm gewesen war, aber er erinnerte sich auch daran, dass erst wenige Tage vergangen waren, seit sie aus Sehnsucht nach ihm beinahe das Elfenreich zerstört hatte. Er lächelte seine Mutter an und versicherte ihr: »Ich mache dir keinen Vorwurf. Du hast mir gegeben, was ich wollte – auch wenn du dabei aus Eigennutz gehandelt hast.«
»Ebenso wie du, Seth.« Die Königin des Lichts lachte beinahe. »Du bist frech, aber ich bin froh, dass ich dich habe.«
Seth spürte, wie die Spannung von ihm abfiel. Seine Königin, seine Mutter, war wieder heiter gestimmt. Außerdem hatte sie ihm ungewollt etwas eingestanden, was er bereits geahnt hatte: dass es ihr Plan gewesen war, ihn zu benutzen und dann wegzuwerfen.
»Es war klug
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