Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
nach Chaos und Ordnung dadurch im Gleichgewicht, dass sie an Höfen lebten, die in Opposition zueinander standen.
»Nein.« Gabriel streckte seine Hände aus, ballte sie dann zu Fäusten und streckte sie wieder, während Lia, die Glaistig, noch näher an ihn heranrückte. »Nicht nur deswegen. Es sind Dinge passiert …« Er unterbrach sich und hielt ihr seine Unterarme hin.
»Ich kann das nicht lesen. Tut mir leid«, sagte Donia. Die Sprache, in der die Befehle verfasst waren, beherrschte sie nicht.
Er knurrte frustriert. »Darf nicht sagen, was ich sagen möchte. Ich habe meinem König versprochen, Hilfe zu holen. Ich brauche Hilfe für …« Er brach ab und knurrte erneut. »Darf ich nicht sagen.«
Donia erhob sich verwundert.
Evan hatte hinter ihr gewartet. Auf ein Zeichen von ihm schwebten die Weißdornmädchen näher heran und stellten sich rechts und links von Donia auf.
Sie trat vor, doch Gabriel wich nicht zurück, so dass sie sich fast berührten. Sie sagte leise: »Ich werde herausfinden, was ich wissen muss.«
Gabriels Worte waren ein heiseres Flüstern: »Dafür wäre ich dir sehr zu Dank verpflichtet. Die Meute wäre dir sehr zu Dank verpflichtet.«
Seine Stimme zitterte auf eine völlig hundeuntypische Art, was Donias Sorge noch vergrößerte. Irgendetwas ist am Hof der Finsternis ganz und gar nicht in Ordnung. Sie legte ihre Hand kurz auf den massigen Oberarm des Hundselfen. »Ich habe schon darüber nachgedacht, dem Hof der Finsternis einen Besuch abzustatten.«
Auf Gabriels Gesicht zeigte sich Erleichterung. »Die Meute verteidigt den Hof der Finsternis. Ich kann nicht mehr neben dem vorherigen König stehen, aber ich werde an der Seite des Königs der Finsternis stehen … Ich würde ihn beschützen vor weiteren … Ich würde dafür sorgen, dass es ihm gut geht.«
Dafür sorgen, dass es ihm gut geht? Dass Bananach auch Niall angegriffen haben könnte, war Donia noch gar nicht in den Sinn gekommen. Als Mitglied des Hofs der Finsternis sollte Bananach eigentlich nicht dazu im Stande sein, Niall zu verletzen. Sonst war niemand vor ihr sicher, aber ihre Regenten konnten Elfen nicht töten. Hebt die Verbannung diese Regel auf? Wer sonst wäre stark genug, um Niall zu verletzen? Hatte Bananach eine starke ungebundene Elfe gefunden, die diese Tat für sie begangen hatte?
»Lebt Niall?«
Gabriel nickte entschieden.
»Ist er verletzt?«
Gabriel zögerte. » Niall ist nicht tödlich verwundet.«
Aber jemand anders ist es, beendete Donia den Satz im Stillen. »Ist Ir…«
»Ich darf nicht«, unterbrach er.
Die Winterkönigin spürte, wie ein Panikschub ihre Ruhe bedrohte. Sie nickte und schlug vor: »Vielleicht sollte ich deinen König aufsuchen, um ihm mitzuteilen, dass ich ihm gegen Bananach zur Seite stehe.«
Der Hund räusperte sich und fragte: »Bald?«
»Bei Tagesanbruch«, versprach sie.
Gabriel verbeugte sich und Donia ging auf die Tür ihres Hauses zu. Hinter sich hörte sie Knurren und Grummeln, doch sie widerstand der Versuchung, sich umzusehen, bis sie die Schwelle erreicht hatte. Dann schaute sie an den Weißdornmädchen vorbei und sagte: »Ich bedauere deinen Verlust. Wenn dich eine kleine Rauferei trösten würde, wären meine Elfen dafür empfänglich.«
Im Gesicht des Hundes schienen nacheinander Sorge, Wut und Verwirrung auf, bis sich schließlich Hoffnung darauf ausbreitete. »Ich kann keinen Handel im Namen meines Königs abschließen, aber …«
»Gabriel?«, unterbrach Donia. »Die Meute ist nicht nur Sache des Hofs der Finsternis. Ihr ordnet euch diesem Hof zu, aber das war nicht immer so. Ich möchte dich und die Deinen nicht bekümmert sehen.«
Der riesige Hundself lächelte sie dankbar an. Dann schaute er zurück zu Lia, und die Glaistig stürzte sich auf ihn.
Die Winterkönigin hob eine Hand und atmete aus, womit sie einen Schneesturm durch ihren Garten sandte, den Himmel verdunkelte und Hagelkörner auf die grinsenden Elfen herabregnen ließ.
Dann schloss sie die Tür, um die Schreie und das Geheul nicht hören zu müssen, die die Luft zerrissen.
Dreizehn
Es war schon Abend, als Keenan vor derselben Tür stand, an die er früher stets voller Angst geklopft hatte, weil es das Domizil der letzten Winterkönigin gewesen war. Beira war tot, durch seine Hand, doch die bleibende Angst vor Eiszapfen, die sich in seine Haut bohrten, hatte gute Gründe. Jahrelang hatte sie seine Haut verletzt – und seine Würde.
Der machtlose Sommerkönig.
Die Zeiten
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