Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Zimmer stand, in dem Niall saß.
»Ich glaube nicht, dass ich nach dir geschickt habe, kleiner König« – die Gestalt, die Niall zu sein behauptete, blickte Keenan an –, »und ich glaube auch nicht, dass du dem Zorn des Königs der Finsternis gewachsen bist.«
»Ich kenne Niall, und du bist es nicht.« Keenan schaute in ein Gesicht, das er so gut kannte wie sein eigenes. »Sag mir, dass du wirklich Niall bist, oder sag mir, was du mit ihm gemacht hast.«
»Interessante Theorie«, sagte die Gestalt, die wie sein Freund aussah, es aber nicht war. Keenan trat näher. »Wer bist du?«
»Ich bin der König der Finsternis und du …« – er lehnte sich zurück und starrte Keenan an – »solltest nicht so dumm sein, mich in Frage zu stellen. Hast du vergessen, wozu der König der Finsternis im Stande ist? Vermisst du deinen Fluch?«
Der Elf öffnete ein Zigarettenetui, das auf dem Tisch lag, und zog einen der giftigen Stängel heraus. Die Gesten waren ganz sicher nicht Nialls. Niall war vieles, aber er besaß nicht diese lässige Arroganz.
Oder Verachtung. Oder aufreizende Langsamkeit.
»Irial?«, fragte Keenan, um seine Theorie zu überprüfen.
Der König der Finsternis lehnte sich zurück und bedachte Keenan mit einem sardonischen Grinsen. »Die Kriegselfe hat Irial getötet.«
»So tot wirkst du aber gar nicht.« Keenan schüttelte den Kopf. »Ist das der Grund, warum er sich so … bösartig aufführt? Du bist in seinen Körper geschlüpft und …«
Irial schnaubte. »Nein. Er trauert. Ob du es glaubst oder nicht, kleiner König: Er trauert um mich.«
»Aber du bist hier.«
»Du bist aufmerksam, kleiner König.« Irial zeigte mit der nicht brennenden Zigarette auf Keenan. »In seinen Träumen und immer wenn ich in seinen wachen Stunden zu ihm durchdringe, versuche ich ihm klarzumachen, dass ich hier bin, aber er wehrt sich noch dagegen. Seit meinem Tod weigert er sich, ordentlich zu schlafen, und ich konnte niemandem erklären, dass ich da bin, bis es jemand von selbst herausfindet.«
»Warum?«
Irial sah Keenan merkwürdig an. »Weil er trauert …«
»Nein, warum konntest du niemandem sagen, dass du dadrin bist?«, fragte Keenan so geduldig wie möglich.
»Weil die Regeln es so vorschreiben, kleiner König. Ich habe den Rahmen des Erlaubten mehr als ausgeschöpft, um euch auf meine Anwesenheit hinzuweisen, hatte aber vergessen, wie begriffsstutzig einige von euch sein können. Ich habe es dir doch praktisch in den Mund gelegt, als du in der Lagerhalle warst«, erwiderte Irial.
Nur Irial war so findig, auch noch dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Der ehemalige Sommerkönig musste dem toten König widerwillig Respekt zollen.
Und als Keenan Irial bedeutete fortzufahren, fügte der tote König in der Gestalt von Niall fort: »Es ist wie mit dem Lügen: Es gibt Geasas – bindende Gelübde –, die man nicht brechen kann. Wir Schatten – selbst jene von uns, die nicht vollständig losgelöst sind – dürfen den Lebenden nicht von unseren postmortalen Erfahrungen oder unseren Besuchen erzählen, es sei denn, die Lebenden sprechen uns direkt mit unserem Namen an. Frei sprechen kann ich nur in Nialls Kopf, aber er ist störrisch.«
»Und warum kannst du in seinen Träumen mit ihm sprechen?« Keenan rieb sich die Schläfen. »Wie ist es möglich, dass du tot bist und doch hier?«
Der Körper, der Niall war, zeigte ein spöttisches Grinsen, das eindeutig Irials war. »Bevor ich starb, wurden unsere Träume miteinander verknüpft. Auf dem Sterbebett erkannte ich meine Chance« – Irial zuckte in falscher Bescheidenheit mit den Schultern – »und habe sie ergriffen. Allerdings redet Niall sich leider ein, dass die Träume, die wir nach meiner Verwundung miteinander geteilt haben, auch nicht real gewesen sein können, wenn er jetzt, wo ich tot bin, noch immer von mir träumt.«
Keenan konnte sich nicht recht vorstellen, wie die Träume der beiden Könige ausgesehen haben mochten, von denen Niall sich wünschte, sie wären real – aber er wollte sie sich auch gar nicht so genau vorstellen. Vielleicht würde er eines Tages ja akzeptieren können, dass Niall Irial vergeben hatte, aber in Wahrheit hasste Keenan Irial. Der ehemalige König der Finsternis hatte Keenans Macht beschnitten; er hatte Niall verletzt; und jetzt hatte er auch noch Nialls Körper in Besitz genommen. Nichts davon weckte positive Gefühle in ihm.
»Könntest du auch wieder gehen?«, fragte Keenan.
»Wenn Niall
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