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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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lang musste Þórgrímur ihn rauf- und runterschleppen und dabei seinen Geruch einatmen, der an nasses, faules Holz erinnerte, und in der ganzen Zeit drehte sich das große Rad der Genossenschaft von allein. Doch das Ende ereilt irgendwann jeden, heißt es irgendwo, und das traf auch auf den alten Björgvin zu. Es kam am Ende eines Arbeitstags.
    Þórgrímur trug das alte, morsche Stück Holz vorsichtig und versuchte gleichzeitig, den Atem anzuhalten, aber in dem Moment, in dem er aus dem Haus trat, kam eine heftige Sturmbö aus Nordost und riss ihm den alten Björgvin aus den Armen, fegte ihn das Gebäude entlang, über den Parkplatz und hinaus ins offene Gelände. Da flog er wie ein übergroßes Blatt etliche Meter über dem Boden, bis die alten Knochen nicht mehr zusammenhielten und es Björgvin, unseren Filialleiter in dreißig Jahren, einen der wichtigsten Männer der Gegend, gleichsam zerriss und über dem Heidekraut verteilte. Die einzigen Zeugen mit Ausnahme von _Þórgrímur, der aber immer nur verächtlich schnaubt, wenn man ihm die Geschichte vorhält, sind zwei kleine Mädchen im Alter von vier Jahren, die das Ereignis bei sich zuhause erzählten, jedes auf seine Weise, aber doch im Kern übereinstimmend: Der Wind pustete den alten Mann in die Luft und weit weg bis dahin, wo die hohen Wiesenhöcker anfangen, Wuschel hat laut gebellt und ist hinterhergerannt, aber dann ist der alte Mann kaputtgegangen, er ist geplatzt und hat sich in Vogelfutter verwandelt, aber Wuschel ist weggelaufen, weil er einen solchen Schreck bekam.
    Vogelfutter und ein verschwundener Wuschel, davon lebt die Legende und weigert sich, zu verstummen.
    Wuschel stammte hier aus dem Ort, ein niedliches und gutmütiges kleines Biest, schwarz mit weißer Brust, jeder mochte ihn, und der war nun also kläffend hinter unserem ehemaligen Filialleiter hergelaufen, fand das Ganze wohl lustig, und vielleicht spielte das Schicksal tatsächlich mit ihm, es kann ja so gemein sein, aber als es Björgvin zerriss, raste Wuschel jaulend in östlicher Richtung davon, ein Bauer hat ihn spätabends überfahren, etwa fünfzig Kilometer von hier entfernt, und da hetzte das arme Vieh noch immer aus Leibeskräften dahin.
    Einige Wochen danach bekamen wir einen neuen Genossenschaftsleiter, und zwar nicht irgendeinen, sondern Finnur Asgrimsson persönlich; endlich war uns ein hohes Tier auf den Leim gegangen! Bekanntlich hatte Finnur gerade eine äußerst glückliche und lange Karriere als Abgeordneter beendet, war sogar mehrfach Minister gewesen, ein aus Fernsehen und Zeitungen bekanntes Gesicht, eine Stimme im Radio, ein Mann, der an der Gestaltung unserer Gesellschaft prägend mitgewirkt hatte, ein Mann von Einfluss im Großen wie im Kleinen, der sich sogar in unserem Alltag bemerkbar machte, und da, als wäre nichts selbstverständlicher, tauchte er bei uns im Ort auf. Du kannst dir vorstellen, wie stolz wir waren! Leider lehnte Finnur jegliche Mitarbeit in Gremien ab, war aber damit einverstanden, den alten Herrn unseres Jungmännervereins abzugeben, die Festrede zum Nationalfeiertag am 17. Juni zu halten und eine kurze Kolumne im amtlichen Anzeiger für den Bezirk zu schreiben, der zehnmal im Jahr erscheint. Er arbeitete sich schnell in die Genossenschaftsbelange ein, obwohl die Buchhaltung und alle Vorgänge im Erdgeschoss natürlich bei Sigriður in besten Händen lagen, und Finnur erklärte, Björgvin hätte bis zu seinem Ende die richtigen Entscheidungen getroffen, wie es von ihm zu erwarten gewesen war. Das gab uns ein wenig zu denken.
    Als Finnur die Geschäfte der Genossenschaft durchgesehen und abgesegnet hatte, brachte er einige Tage damit zu, durch den Ort zu fahren, den Leuten die Hand zu schütteln und ein Schwätzchen mit ihnen zu halten. Einiges Interesse entwickelte er am Schicksal des Astronomen, und man führte ihn vor die Tür des schwarzen Hauses, aber obwohl geklopft und geklingelt wurde, machte der Astronom nicht auf. Doch von Helga und ihrer Tätigkeit war Finnur nicht weniger erbaut, zumal sie ihm anbot, sie jederzeit anrufen zu können, Tag und Nacht. Da zappelte Finnur vor Vergnügen, als ob ihn jemand gekitzelt hätte. Anschließend besuchte er die Garage des Landratspaars, und da saß Jónas in einer schwarzen Polizeiuniform.

Fünf
    Das Schicksal geht seltsame Wege, das heißt, wenn wir davon ausgehen, dass so etwas wie Schicksal existiert und unser Dasein nicht dem bedrohlichen Spiel von Zufällenausgeliefert ist. Hannes

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