Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Wohnzimmer und sah lange seinen Vater an, der schwer und leblos über dem Fußboden hing wie eine Sonne, die in sich zusammengestürzt und zu einem dunklen Fels geworden ist.
Drei
Wir liegen mehr oder weniger zufällig hier und da in der Gegend begraben, du erinnerst dich, wir haben keinen Friedhof, hatten nie einen, und es ist völlig ungewiss, wo wir einmal enden werden, meist geht es danach, welcher Pfarrer als Erster zu erreichen ist. Am schlimmsten ist es, mitten im Sommer zu sterben, nicht wegen des Vogelgezwitschers und der Helligkeit, sondern weil es die Zeit fürs Heumachen ist, die Pfarrer sind nämlich im Zweitberuf auch Bauern und stinksauer, wenn sie einen schönen trockenen Tag zum Heuen für einen Toten sausen lassen müssen. Hannes aber verließ diese Welt des Lichts und Schattens früh im Winter, Reif und Frost über allem, die Welt weiß wie ein Engelsflügel, und kein Problem, einen Geistlichen zu besorgen, Jónas konnte sich nach Norden, Süden oder Osten wenden, nur nicht nach Westen, denn da ist das Meer. Er rief natürlich Pastor Johannes im südlichen Bezirk an, er und Hannes waren alte Freunde. Viele kamen zur Beerdigung. Es war ein schöner Tag, der Himmel blank poliert wie ein Stück Blech, die Berge weiß wie in Träumen. Ein schöner Tag und ein gutes Begräbnis. Johannes hielt eine gekonnte Ansprache auf seinen Freund: Nun sind die Schatten in deinem Kopf gewichen, der Schmerz verschwunden, und du hältst dich in so leuchtender Helle auf, dass keine irdische Sprache sie beschreiben kann. Dieses Licht ist selbst göttlich. Diese Helle ist das ewige Leben. Wir, die wir hier stehen und dich vermissen, ja, die wir noch im matten Schein des Erdenlebens wandeln, beten, dass dein Vergehen nicht zu hart aufgenommen werden möge, dein Schmerz war groß, die Schatten düster. Wir setzen unsere Hoffnung auf die ewige Gnade. Ja, mein Freund, vielleicht liegst du nun, genau in diesem Moment, auf einem grünen Hang in der Ewigkeit und sammelst dort mit deiner Bara Beeren, und vielleicht hast du gerade zu ihr gesagt: Ich hätte nie gedacht, dass etwas so grün sein kann.
Jönas saß ganz allein in der vordersten Reihe, keine Hand, um sie zu drücken, Finsternis auf der einen Seite, Düsternis auf der anderen, er hielt sich an der Kirchenbank fest, um nicht in die Leere zu stürzen. Die Rede aber war gut, viele mussten sich Mühe geben, die Tränen zurückzuhalten, manche schafften es nicht, dann war die Andacht vorüber. Hannes Jönasson, Zimmermann, mit ganzem Herzen aber Polizist, wurde in die kalte Erde hinabgelassen, dem Frost übergeben, ein mit Alkohol und den Versen Hallgrimur Peturssons gesättigter Leib; Erde polterte auf den Sargdeckel, und ein paar alte Tanten weinten, zwei ältere Männer weinten und sechs junge Frauen. Tränen sind geformt wie Ruderboote, Trauer und Kummer sitzen an den Riemen. Wem auf einer Beerdigung die Tränen kommen, der beweint nicht weniger den eigenen Tod und die Vergänglichkeit der Welt, denn alles stirbt, und am Ende bleibt nichts übrig.
Vier
Es ist knapp zehn Jahre her, seit Hannes ins Dunkel der Erde hinabgelassenwurde, zehn Jahre sind keine lange Zeit, sind ein Gedanke, ein kurzer Moment, und doch kann die Welt selbst in noch kürzerer Zeit Riesensprünge vollbringen, kann sich das Klima ändern, können neue Vogelarten heimisch werden und Weltreiche untergehen. Ja, die Erde wird geschüttelt, doch wir halten uns am Küchentisch fest.
Kurz nach Hannes’ Tod verloren wir auch unseren alten Filialleiter im Genossenschaftsladen, Björgvin, der dreißig Jahre bei uns gewesen war und längst irgendwie zur Landschaft gehörte. Er ging auf die achtzig zu, seine Haut war inzwischen aschgrau geworden und sein Rücken krumm, den ganzen Rest seiner Kraft brauchte er, um die Augenlider auf- und zuzuklappen und zu atmen. In den beiden letzten Jahren hatte Þórgrímur, der Geschäftsführer von Lagerinn, Björgvin morgens die Treppen zur Genossenschaft hinauf- und abends hinabtragen müssen, die dreißig Stufen waren für seine gebrechlichen Beine gleichbedeutend mit der Höhe des Himalayas. Tagsüber saß er am Schreibtisch, die Hände reglos auf der Tischplatte, und klappte ganz langsam die Augen auf und zu, um das Herz nicht zu überanstrengen. Die Haare in seinen Ohren wuchsen unendlich langsam, füllten aber nach und nach die Gehörgänge so, dass es aussah, als hätte ihm jemand zwei Zwerge mit dichten Haarschöpfen in die Ohren gestopft. Ein, zwei Jahre
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