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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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einen Schabernack anzutun, wie gesagt übernehmen wir keine Verantwortung für unsere Nächte, aber die Sache mit dem Handballtor ging zu weit, das wollten wir nicht einfach der Nacht zuschreiben. Vielleicht war es eine Art Sühneversuch, dass wir den Anstifter, Einsi, ansonsten Baggerfahrer und Schädlingsbekämpfer und unter uns – selbst eine miese Ratte, seinerseits aus dem Haus und den Klamotten zerrten. Erst wollten wir ihn zu Selja schleifen, die über den Sommer Kälber aufpäppelt, und eins von ihnen bis zum bitteren Ende an Einsi saugen lassen, aber dann ließen wir es damit genug sein, ihn von den Zehen bis zu den Haarspitzen rot anzumalen, ja, heul doch, sagten wir. Þórgrímur suchte die beiden anderen auf, zwei Knaben von zwanzig Jahren, und zwar in aller Herrgottsfrühe, dass sie nicht wussten, ob sie wachten oder träumten. Er schubste sie in seinen Willys, fuhr mit ihnen rauf zur Hochheide, warf sie aus dem Auto und sagte: Kleine Lektion in Boxen, los, nehmt die Fäuste hoch und wehrt euch. Anschließend stieg er ins Auto und ließ die beiden nach Hause laufen. Zu Fuß ein Marsch von sieben Stunden, aber der Regen wird euch die blauen Augen und Blessuren kühlen, sagte er noch aus dem offenen Seitenfenster. Und wie es regnete! Himmel und Erde verschwammen ineinander. Während es draußen schüttete, stand Greta, eine der beiden Spinnen, vor ihrer Chefin und hätte tausendmal lieber törgrimurs Fäuste und den ganzen Regen auf sich niedergehen lassen als Sigriðurs Standpauke. Hingegen schwimmt es sich bei kräftigem Regen besonders gut, denn dann weiß man nicht mehr, ob man Vogel oder Fisch ist. Sólrún schwamm weit hinaus und tauchte dort in die verdichtete Stille hinab; dabei dachte sie erst an Jónas und dann an Þórgrímur.

Sieben
    Teufel auch, was haben wir uns darauf eingebildet, ein so hohes Tier wie Finnur Asgrlmsson in unseren Ort zu bekommen! Das war ja, als hätte der liebe Gott einen Funken vom Himmel fallen lassen. Finnur ist bekannt, oder? Er bewegt sich langsam, so, als würde er immer durch tiefen Schnee waten, er ist mittelgroß, untersetzt, aber nicht dick, sein Gesicht wirkt etwas massig und grob und immer ein wenig ausdruckslos. Diese Unbewegtheit war sein Markenzeichen und hat ihm in der Politik geholfen, weil sie nach Unerschütterlichkeit und Standhaftigkeit nach reiflicher Überlegung aussah. Zu uns kam er mit dem Leben ausgesöhnt und satt von seinen Erfolgen, er war ein wichtiger Mensch gewesen und nun auf dem Weg, eine Persönlichkeit von historischem Format zu werden. Er hatte im Scheinwerferlicht gestanden, wir Übrigen aber lebten im Dämmer des Alltags, unsere Entschlüsse bewegten vielleicht Kieselsteine, aber keine Felsen, geschweige denn Berge. An dem Tag, an dem Finnur zu uns in den Ort kam, legten wir Sonntagskleidung an. Der Frauenverein backte Kuchen und Torten mit dicken, feuchten Böden, Sahne und eingemachten Früchten, gefüllte Windbeutel und anderes Gebäck, dazu gab es belegte Platten und Schnittchen, der Tisch im Gemeindezentrum bog sich, uns lief das Wasser im Mund zusammen – so sehen richtige Festessen aus. Wir bügelten die Kleider und Krawatten, der Landrat hielt eine Rede, der Vorsitzende der Rotarier und der örtliche Parteichef der Bauernpartei hielten Reden, die Vorsitzende des Frauenvereins hielt eine Rede, wir riefen Hurra, und Finnur lächelte. Er stand mitten unter uns, und wir dachten, es wäre wie im Märchen, als wären wir in den Mittelpunkt des Landes gerückt: wir waren auf einmal wichtig. Die Stimmung stieg noch, als Finnur ankündigte, er wolle neben der Leitung der Genossenschaft auch seine Memoiren schreiben. Wir riefen wieder Hurra, rückten die Schlipse zurecht oder strichen die Kleider glatt und sangen »Island, von Fjorden zerklüftet«, worauf Finnur noch einmal ans Rednerpult zurückkehrte und erklärte, er sei gerührt, dieses starke und schöne Lied werde sicherlich in seinen Lebenserinnerungen widerhallen.
    Wechselte der Himmel nicht die Farbe, traten die Berge nicht von einem Fuß auf den anderen, als Finnur das schwere Ringen mit seinen Memoiren aufnahm? Der erste Satz kam noch schnell und sicher: »Ich war einunddreißig Jahre alt, als ich ins Parlament gewählt wurde.« Finnur setzte ein Komma und keinen Punkt, griff nach einem zweiten Blatt und schrieb in Großbuchstaben: DIE JAHRE, AUF DIE ES ANKAM. Dann lehnte er sich zurück, strich über den mächtigen dunklen Schreibtisch, sah sich in dem großen Büro um

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