Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Europa, musterte dort ab, trieb sich von Stadt zu Stadt herum, übernahm Gelegenheitsjobs, um etwas zu essen zu haben, ging dann nach Südamerika, wo er etwa drei Jahre zubrachte, den Amazonas hinabfuhr und in einige Abenteuer geriet, er schloss sich auch einem Ethnologen an, der tief im Dschungel Ureinwohner erforschte. Sechs Jahre, und in dieser Zeit hatte er gerade mal drei mickrige Ansichtskarten geschickt, an niemanden direkt adressiert, sondern einfach an den Ort, Grüße an alle. Sagten sie etwas über sein Leben? Das war schwer auszumachen, seine Handschrift erinnerte an zerdrückte Ameisen. Selbst Agüsta, die einiges gewöhnt ist, rätselte herum, doch da die Karten an alle gerichtet waren, hängte sie sie am Schaufenster des Kaufladens auf, und da hingen sie noch, als er selbst davor aus dem Bus stieg. Drei Postkarten, eine neben der anderen, die Ansichten zeigten nach draußen auf den Vorplatz, blickten über den Ort und auf die Berge jenseits des Fjords, der Text war von drinnen zu lesen. Nicht selten haben wir versucht, aus den zerdrückten Ameisen etwas Sinnvolles zu entziffern, waren sogar zuweilen extra in den Laden gegangen, wenn uns die Langeweile wieder einmal mit ihren Waffen belagerte, die Träumer des Ortes blieben aber lieber draußen und betrachteten die Bilder, verloren sich in den Ansichten fremder Städte, urwaldüberzogener Berge, vom eigentümlichen Licht über dem Amazonas. Ganz schön und ein wenig träumerisch, mit beiden Beinen fest auf dem Boden eines ereignisarmen Lebens zu stehen, obendrein noch meist in ziemlichem Mistwetter, und sich Bilder von exotischen Orten anzusehen, in kräftigen Farben, die natürlich allmählich verblassten, und in gleißendem Licht; Ansichtskarten wie Werbeanzeigen aus dem Himmel. Wir anderen, die wir nicht so für Träume sind, versuchten ohne großen Erfolg die Botschaften zu entschlüsseln, genau so wie wir unser ganzes Leben lang – ebenso erfolglos – versuchen, aus den komplizierten Zeichen am Himmel und auf der Erde Bedeutungen herauszulesen. Pardon für diese Abschweifung, doch jetzt ist er also wieder da: Matthias heißt er und steht da in seiner roten Hose, während der ächzende Bus davonrollt, und er nimmt Elisabet in die Arme, was seit sechs Jahren niemand mehr gedurft hat, und auch damals war er der Glückliche, der sie als Einziger umarmen durfte, doch dann ging er fort, und wir erfuhren nie, was sich zwischen den beiden abgespielt hatte. Sie liegen sich noch immer in den Armen, als Sigriður aus dem Laden kommt. Sie hat, in die Buchhaltung oder sonst was vertieft, in ihrem Büro vor dem summenden Computer gesessen und begrüßt jetzt Mattias mit Handschlag und nickt Elisabet zu; es ist kein geringer Anblick, die beiden so nah beieinander zu sehen, eigentlich mehr, als wir ertragen können. Sigriður spricht, Matthias hört zu, sieht sie an, scheint ihr zuzustimmen, sagt auch etwas, und Sigriður lacht, Elisabet scheint zu lächeln, sie blickt zu Boden, dann schüttelt Sigriður Matthias wieder die Hand, wirft einen schnellen Blick auf Elisabet und geht dann zurück ins Geschäft und ihr Büro, schließt die Tür. Matthias nimmt seine abgewetzte Tasche, er und Elisabet gehen in den Kiosk, setzen sich und bekommen Kaffee mit dünnem Fladenbrot und geräuchertem Schaffleisch.
Du siehst umwerfend gut aus, sagte Matthias.
Elisabet schluckte, lächelte (oder grinste sie etwa?) und sagte: Das ist gut, und es trifft sich auch gut, dass du zurückgekommen bist, denn ich brauche dringend einen Liebhaber, und wenn du in der Zwischenzeit nicht schlechter geworden bist, kann ich mich auf was freuen.
Matthias lehnte sich zurück und verschränkte die Arme im Nacken, seine dunklen, mandelförmigen Augen leuchteten auf, der slawische Schnitt verlieh seinem Gesicht etwas Geheimnisvolles. Elisabet sprach in aller Seelenruhe, als würde sie vom Wetter reden oder um eine zweite Tasse Kaffee bitten. Fjola vom Kiosk und Brandur der Tankwart standen hinter der Theke und hörten es genau, sie bekamen jedes Wort haargenau mit. Ich brauche dringend einen Liebhaber, hatte Elisabet gesagt. Fjola und Brandur sahen sich an. Er musste sich über die Lippen lecken.
Elisabet ließ Matthias, der zu lachen begonnen hatte, nicht aus den Augen. Plötzlich hörte er auf und blickte sie seltsam an, vielleicht fröhlich und traurig zugleich, dann schüttelte er den Kopf und meinte: Du hast dich nicht verändert.
Doch, tagtäglich, aber ich zeige es niemandem.
Warum
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