Sommerliebe
einige Male die Zehen des einen Fußes an der Ferse des anderen. Zuviel getrunken hatte er in kurzer Zeit ganz bewußt, um sein Lampenfieber niederzukämpfen.
In einer Pause sagte Franz Müller zu Rolf: »Was ist jetzt mit Ihnen, Herr Doktor?«
Er brauche noch ein paar Gläser, entgegnete Rolf.
Heinz entzog ihm daraufhin die Weinflasche.
Heinz selbst war aber auch so nervös, daß sein eigenes Glas ständig von ihm gefüllt und geleert wurde. Dadurch fing er an, die Dinge nicht mehr so beängstigend zu sehen.
Auf den Stepptänzer folgte ein Breslauer, der es wagte, den berühmten, großen Wiener Schauspieler und Komiker Hans Moser zu parodieren. Man stelle sich vor, Hans Moser auf niederschlesisch! Es war eine eindeutige Katastrophe.
»Heinz«, raunte Rolf seinem Freund zu, »die hundert Mark liegen noch immer auf der Straße.«
Heinz reagierte nicht.
»Ich hole sie mir«, sagte daraufhin Rolf und rückte seinen Stuhl zurück, um sich zu erheben.
»Du bleibst sitzen!« zischte ihn Heinz an.
»Ich kann tun und lassen, was ich will.«
»Du bleibst sitzen!«
»Nein.«
»Ich lasse nicht zu, daß du uns alle blamierst!«
»Es gibt nur ein Mittel, mich davon abzuhalten – du trittst auf.«
»Das wäre auch tausendmal besser, als wenn du das tust.«
»Der springende Punkt ist, daß du Schiß hast.«
»Ich?!«
»Ja, du.«
»Lächerlich! Weshalb sollte ich Schiß haben? Was wir bisher hier gesehen haben, war doch alles andere als toll. Dagegen könnte ich immer noch antreten.«
»Nur traust du dich nicht.«
Hier schaltete sich Herr Müller ein. »Diesen Eindruck habe ich allerdings auch«, stichelte er, und das führte die Entscheidung herbei.
Jede Kontrolle über sich verlierend, sprang Heinz Bartel mit dem Ruf »Ihr sollt euch wundern!« auf, machte sich auf die Suche nach dem Geschäftsführer und gab ihm seine Teilnahmemeldung ab, die zwar verspätet war, aber noch gerne angenommen wurde. Heinz erhielt im Programm die Auftrittsnummer 7.
Das Ganze war ein klassischer Fall von ›Opfer des Alkohols‹.
Die Sieben ist eine Glückszahl, und das allein bewog Heinz schon, momentan an seinen Erfolg zu glauben. Nach wenigen Minuten jedoch verflog die Euphorie wieder, und er fragte sich, welcher Teufel ihn geritten haben mochte, sich auf diesen Wahnsinn einzulassen. Jetzt gab es aber kein Zurück mehr.
Er mußte sich zurechtlegen, was er überhaupt bringen wollte, und das konnte nun nur noch improvisatorisch vor sich gehen. Chaotisch waren die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, während die Programmnummern 4 und 5 abliefen. Er entschuldigte sich, um die Toilette aufzusuchen. Das war aber nur ein Vorwand. In Wirklichkeit trieb er sich draußen vor dem Saal herum, wischte sich den Schweiß von der Stirn und kämpfte mit wachsenden Paniksyndromen.
Er fühlte sich gar nicht gut, hatte Kopfschmerzen und bildete sich ein, nun tatsächlich aufs Klo gehen zu müssen – ein Irrtum, wie sich herausstellte.
Heinz Bartel hatte das höllischste Lampenfieber, das man sich vorstellen konnte.
Aber das war keine Schande. Die größten Künstler haben Lampenfieber. Caruso verlor vor Lampenfieber regelmäßig seine Stimme und fand sie erst wieder, wenn er auf der Bühne stand und ihm der Dirigent den Einsatz gab. Die Callas konnte ihr Lampenfieber nie abschütteln, und man sagt, daß sie deshalb sogar ihre Karriere bereits aufgegeben hatte, als dazu noch gar kein Anlaß bestand. Man kann sich sogar fragen, wie viele überragende Talente es überhaupt schon gegeben haben mag, von denen die Welt nie erfuhr, weil unüberwindbares Lampenfieber sie daran hinderte, jemals zur Geltung zu kommen?
Heinz Bartel hörte durch die geschlossene Tür, daß drinnen im Saal die Nummer 6 im Programm angekündigt wurde.
Großer Gott! Schon die Nummer 6!
Heinz mußte sich setzen. Ein Fensterbrett diente ihm dazu.
Die Tür des Saales wurde von innen geöffnet, Rolf Wendrow schlüpfte heraus, sah ihn und eilte auf ihn zu.
»Wo bleibst du, Mensch? Du bist gleich dran. Ich –«
Er brach ab.
»Wie siehst du aus? Ist dir schlecht?«
»Ich … ich weiß nicht …«
»Natürlich ist dir schlecht! Man sieht das doch!«
Heinz rutschte vom Fensterbrett.
»Was willst du?« fragte ihn Rolf.
»Ich muß rein.«
Rolf stellte sich ihm in den Weg.
»Unmöglich!«
»Ich bin gleich dran, das sagst du doch selbst.«
»Vergiß es. Du gehörst ins Bett.«
»Ach was, es geht schon.«
»Nein, das könnte ich nicht verantworten.«
»Und
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