Sommerliebe
mein Auftritt?«
»Vergiß ihn, sage ich.«
»Und die hundert Mark?«
»Vergiß auch sie.«
»Und die Blamage, wenn die Leute umsonst warten?«
»Scheiß auf die Blamage!« wurde Rolf drastisch. »Scheiß auf die Leute!«
Heinz blickte ihn vorwurfsvoll an. Er schüttelte den Kopf.
»Nein!« sagte er mit jeweiliger Betonung. »Nein! Das würdest du machen, ja. Aber nicht ich.«
Rolf war sprachlos geworden. Er suchte nach Worten.
»Mach Platz!« sagte Heinz und schob ihn zur Seite.
Im Saal rauschte kurzer, von Wohlwollen getragener Beifall auf. Die Nummer 6 – eine Sächsin, deren Versuch, hochdeutsch zu sprechen, nur hatte mißglücken können – verließ die Bühne, und es trat eine etwas längere Pause ein, die zu den Vorbereitungen auf die Nummer 7 im Programm genutzt werden mußte. Heinz brauchte ja bei seinem Gesang eine Begleitung auf dem Klavier, und der dazu nötige Musiker mußte erst gesucht werden.
Dann war es soweit. Heinz Bartel wurde angekündigt. Mit Gelee in den Knien zwang er sich auf die Bühne, der grelle Scheinwerferkegel erfaßte ihn und …
Und plötzlich, wie von selbst, löste sich alles in ihm, die ganze Verkrampfung. Das Lampenfieber war weg. Die Aufgabe schien so einfach, so lächerlich unkompliziert …
Man tritt vor und sagt schlicht: »Als erstes bringe ich aus der Oper ›Madame Butterfly‹ die berühmte Arie ›Leb wohl, mein Blütenreich …‹«
Und dann singt man einfach, singt man, was man kann – wenn man es kann.
Heinz Bartel konnte es. Er war zwar kein Profi, aber auch kein Amateur, und schmetterte das hohe C in den Saal, daß selbst jenem größeren Teil des Publikums, das normalerweise nur bereit war, der Schlagermusik ihren Tribut zu zollen, die Ahnung aufging, hier einem Kunstgenuß beizuwohnen.
Schon der erste Beifall, den Heinz einheimsen konnte, war deshalb beträchtlich. Er diente ihm zum Ansporn.
»Als nächstes bringe ich …«
Die Frage huschte ihm durchs Gehirn: Wo sitzt Rolf? – Dort, ja. Wie blöd er schaut. Ich würde ihm gern sagen, daß er den Mund zumachen soll. Er schwitzt.
»… bringe ich aus ›Der Liebestrank‹ von Donizetti die Arie ›Una furtiva lacrima … Heimlich aus ihrem Auge sich eine Träne stahl …‹«
Und Heinz Bartel sang wieder. Wie pflegte ihm sein Vater, der ohne Zweifel mehr ein Profi als ein Amateur war, immer zu sagen? »Portamento – immer die messa di voce beachten. Deine Stimme macht dich zu einem Vertreter der Belcanto-Schule. Seele mußt du singen, Seele, mein Sohn … messa di voce … piano … piano … piano …«
Portamento … Donizettis bel canto … hohes A, hohes C, trióle hinunter, messa di voce, vois mixe …
Beifall, großer Beifall, Verbeugung, Beifall, Verbeugung, Beifall, Verbeugung …
Hat Rolf den Mund schon zu? Ja, ich sehe es. Schwitzt er noch? Ja, sogar noch stärker – aber aus Begeisterung.
Verbeugung, Beifall …
»Zugabe!« schreit einer. Andere fallen ein.
Das müßte Ilse erleben. Warum ist sie nicht hier?
Der Beifall erschöpft sich.
»Zugabe!«
Bitte, gerne …
Etwas besonders Schönes. Meine Lieblingsarie.
»Abschließend«, sagte Heinz Bartel, »hören Sie ›Dies Bildnis ist bezaubernd schön …‹ aus der ›Zauberflöte‹ von Wolfgang Amadeus Mozart.«
Neu aufbrandender Beifall.
Mozart …
Eine seiner größten Arien …
Aber welche seiner Arien ist nicht eine seiner größten? Alle sind sie's! Keine ist schwächer! Jede ist die allergrößte!
Mozart …
Wolfgang Amadeus Mozart …
Es müßte ein Publikum geben, dachte Heinz Bartel, während er sang und sich absolut über die Frechheit von ihm – und jedem – im klaren war, sich an solchen Klang zu wagen, es müßte ein Publikum geben, das nach solcher Musik keine Hand mehr rühren kann, das erstarrt sitzen bleibt, mucksmäuschenstill, nur noch innerlich erschauert, weil es sich angetastet fühlt von wahrer Unsterblichkeit. Ein solches Publikum müßte es geben.
Ilse, dachte er, wie ist das mit dir? Denkst du auch, daß es ein solches Publikum geben müßte? Hältst du überhaupt etwas von Musik? Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Das muß aber möglichst rasch nachgeholt werden. Und was ist, wenn dir Musik nichts bedeutet? Liebe ich dich dann auch noch?
Bliebe mir nichts anderes übrig, selbst wenn sie Peter Kreuder über Mozart stellen würde.
Nein! … Oder doch? … Ja doch, es bliebe mir nichts anderes übrig, auch wenn sie Peter Kreuder über Mozart stellen würde. Hoffentlich
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