Sommerliebe
…‹
Dort, wo die breite, blumengeschmückte, von gepflegtem Rasen eingerahmte Kurpromenade in die Dünen auslief, lag der als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens gerühmte Bau des ›Strandkasinos‹. Ein mächtiger Stein- und Holzbau schloß sich an eine träumerische Gartenterrasse an. Von kleinen, spitzen Türmchen flatterten mittelgroße bunte Fahnen. Wenn man eintrat, empfing einen ein langes, mit rosa Seide und großen Spiegeln ausgestattetes Foyer, von dem breite Türen in den Festsaal mit seiner mit weißer Seide verkleideten Decke führten. Diesem Saal schloß sich wieder eine breite Glasveranda an, von der man einen wundervollen Blick auf die blaue See und die in den Dünen sich küssenden Liebespaare hatte.
Auf einem großen Podium produzierte sich ab 6 Uhr abends eine vielköpfige Tanzkapelle. Kellner im Frack schwirrten umher. Gedämpfte Geräusche der Gäste füllten die Pausen der Musik aus. Die Speise- und Getränkekarte war ein dickes Buch mit einer Fülle von Zahlen, die fast an den Jahresabschluß einer Bank hätte erinnern können.
Dieses Strandkasino war das Ziel des über die Promenade schlendernden Duos Bartel/Wendrow. Die beiden sahen gut aus, und so war es ganz natürlich, daß sie sich nicht über einen Mangel an Blicken junger Damen, von denen sie wohlgefällig gemustert wurden, beklagen konnten. Freilich kam auf jeden Blick dieser Art ein mehrfaches Quantum gleichgearteter eigener Blicke, die von den beiden jungen Herren in der freigebigsten Weise verstreut wurden.
Knapp vor dem Eingang des vornehmen Etablissements hatte Heinz Bartel noch einmal einen lichten Moment. Er hielt an und sagte: »Daß wir verrückt sind, weißt du schon, Rolf.«
»Wieso?«
»Dieses Lokal geht über unsere Verhältnisse.«
»Welches Lokal«, antwortete Wendrow in vor sich selbst nicht haltmachender Ironie, »würde das nicht tun?«
»Aber nicht in solchem Maße.«
»Was willst du – kehrtmachen? Oder …«
»Kehrtmachen wäre ohne jeden Zweifel das Vernünftigste.«
»Oder wir nehmen uns wenigstens vor, nur ein erschwingliches Glas zu konsumieren und der Neppbude dann wieder den Rücken zu kehren.«
»Das wäre ein Weg, ja. Was wir zuwenig getrunken haben, können wir ja dem Ober am Trinkgeld abziehen.«
»Genau.«
»Dann laß uns mal sehen, komm …«
Sie gingen hinein, und schon an der Garderobe glaubten sie sich sagen zu können, daß ihr Entschluß richtig gewesen war. Das Mädchen, das ihnen ihre Sachen abnahm, war ein entzückender Wuschelkopf aus Tirol. Der eineinhalb Jahre zuvor erfolgte Anschluß Österreichs an das Großdeutsche Reich hinterließ eben seine Spuren. Das Mädchen hieß Annamirl und galt schon allein deshalb in Heringsdorf als Exotin. Annamirl hatte Heimweh nach den Bergen. An die Ostsee, die für ihre Angehörigen in der Heimat eine Art Polarmeer im hohen Norden darstellte, war sie auf ihrer Suche nach Arbeit geraten.
Zur Gewohnheit Annamirls gehörte es, mittags von 12.00-15.00 Uhr und abends von 18.00-1.00 Uhr eine Kette gewagter Komplimente und forscher Einladungen entgegenzunehmen, zu allem freundlich zu nicken und im Ernst nicht daran zu denken, einem jener zahlreichen Herren auf den Leim zu kriechen, die es zu versuchen pflegten, jenes Verfahren in Gang zu setzen, das als Bumerang auf das zarte Geschlecht zurückkommt, seit Eva im Paradies ihren Adam erfolgreicher Verführung aussetzte.
»Mein Fräulein«, sagte Heinz Bartel zu Annamirl, »können Sie sich vorstellen, mich näher kennenzulernen?«
»Oder mich?« schaltete sich Rolf Wendrow postwendend ein.
Annamirls freundliches Nicken galt beiden.
»Sie scheinen nicht überrascht zu sein«, fuhr Heinz fort.
»Von was?« fragte Annamirl.
»Von meinem Interesse an Ihnen.«
»Beziehungsweise von meinem«, schob sich wieder Rolf dazwischen.
»Nein, meine Herren«, gab Annamirl in erstaunlich gutem Hochdeutsch jedem der beiden die gleiche Chance.
»Mein Name ist Heinz Bartel.«
»Dr. Rolf Wendrow«, verbeugte sich dieser lächelnd.
Der ›Doktor‹ verschob in unfairer Weise die Gewichte. Annamirls Augenaufschlag blieb Heinz nun versagt.
»Ich heiße Geiselbrechtinger.«
»Haben Sie keinen Vornamen?« fragte Rolf, die Initiative nicht mehr aus der Hand gebend.
»Doch – Annamirl.«
»Wie?«
Dies stieß Rolf Wendrow ganz kurz hervor, denn er stand ganz unverkennbar unter einem kleinen Schock – eine Gelegenheit für Heinz, die Gesprächsführung wieder an sich zu reißen.
»Annamirl
Weitere Kostenlose Bücher