Sommermaerchen
KAPITEL
Nach zwei Wochen in Sudley fühlte sich Beatrice leicht gelangweilt. Einen Monat später machten ihre Schwestern sie schier verrückt, und ihr war todsterbenslangweilig. Der Versuch, Vernunft walten zu lassen und ein abgeschiedenes Leben zu führen, erwies sich als wahre Tortur. Je ruhiger ihr Leben verlief, desto mehr blühte ihre Fantasie auf.
Widerstrebend gestand sie sich ein, dass sie Charles vermisste, gleich, wie aufreibend er auch sein mochte. Er war interessant, aufregend und stellte alle anderen in den Schatten. Ein Teil von ihr, selbstverständlich nur ein winziger Teil, wünschte, er hätte ihr geschrieben, auch wenn sie nicht wusste, wie sie ihm hätte antworten sollen. Ob er sie ebenfalls vermisste? Wohl kaum, sie waren nicht in Freundschaft auseinandergegangen.
„Bea?“ Eleanor erschien an der Tür. „Was hältst du hiervon?“ Mit strahlenden blauen Augen trat sie ins Zimmer. Das kastanienbraune Haar war kunstvoll frisiert, und sie trug ihr neues Kleid. Schwungvoll drehte sie eine Pirouette. „Gefällt es dir?“
Beatrice krauste die Stirn. „Ist dieser Aufzug für diese frühe Stunde nicht ein wenig übertrieben?“
Eleanor betrachtete das Kleid ungerührt. „Das weiß ich. Aber es gefällt dir doch, oder nicht? Ich wollte es zum Dinner am Samstag tragen.“
Beatrice stöhnte bei der Erwähnung der Dinnerparty auf. Dass ihre verflixte Tante Louisa sich aber auch immer einmischen musste. Unter anderem hatte sie London verlassen, weil ihr diese Einmischung missfiel. Worauf ihre Tante nichts Besseres zu tun hatte, als ihr nach Sudley zu folgen, unter dem Vorwand, dass sie Erholung auf dem Land suchte. Dies war ganz offensichtlich eine Lüge, denn bereits zwei Wochen nach ihrer Ankunft hatte Tante Louisa beschlossen, eine Hausgesellschaft zu geben.
Beatrice hegte den leisen Verdacht, dass dies ein erneuter Versuch war, sie unter die Haube zu bringen. Denn schließlich war sie unbestritten immer noch ledig.
Nun musste sie sich also nicht nur mit ihrer Großtante herumschlagen, sondern auch noch mit der restlichen feinen Gesellschaft. Die Saison in London neigte sich dem Ende zu, und man war auf der Suche nach neuen Zerstreuungen. Beatrice konnte nur hoffen, dass sie nicht eine davon werden würde. Ihre plötzliche Abreise hatte wundersamerweise keinen Skandal ausgelöst und ihr Ruf keinen Schaden genommen. Unbestritten neigte sie jedoch dazu, von einer Katastrophe in die nächste zu stolpern.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Schwester zu. „Mir gefällt es sehr. Du siehst bezaubernd aus. Mich verwundert allerdings, dass Vater dir gestattet, an der Gesellschaft teilzunehmen. Ich durfte erst mit achtzehn Jahren gesellschaftliche Anlässe besuchen.“
„Ich bin fast siebzehn. Außerdem darf ich ja auch nur zum Dinner herunterkommen.
Und das auch nur, weil ich Vater gedroht habe, ich würde einen Anfall bekommen, wenn er mich das ganze Wochenende über mit Helen einsperrt.“
„Ich nehme an, dies beruht auf Gegenseitigkeit. Wo ist Helen übrigens?“
„Nach dem Frühstück ist sie mit George Gregson davongestürmt“, antwortete Eleanor. „Sicher planen sie einen Streich für das Wochenende ... Schnecken in der Limonade oder derlei Dinge. Ich wünschte, sie würden erwachsen werden.“
George Gregson war Helens bester Freund, und obwohl er der Sohn eines Pfarrers war, steckte ein kleiner Teufel in ihm. Wie Helen war er stets zu Streichen aufgelegt.
Beatrice zeigte etwas mehr Verständnis für Helens Eskapaden als Eleanor. „Ich hoffe doch sehr, dass sie einen Streich planen. Das würde wenigstens für Abwechslung sorgen.“
„So schrecklich langweilig wird es gewiss nicht werden. Himmel, du bist beinahe so schlimm wie Ben. Zum Glück weilt er im Ausland und kann uns nicht die Stimmung verderben.“
Beatrice nickte und wünschte, sie hätte mit ihrem Bruder fahren können. Sie sah dem bevorstehenden Wochenende mit Unbehagen entgegen, denn Tante Louisa hatte die Gästeliste aufgestellt und auch Lord Asher eingeladen. Beatrice fürchtete aus gutem Grund, er würde die Gelegenheit nutzen und ihr einen Antrag machen. Er hatte ihr geschrieben, seine Sorge über ihre hastige Abreise ausgedrückt und den Wunsch geäußert, sie wiederzusehen. Sie hatte ihm geantwortet, weil sie nicht unhöflich erscheinen wollte. Daraufhin hatte er ihr noch mehrmals geschrieben, und nachdem er die Einladung nach Sudley erhalten hatte, wurden seine Zeilen blumiger, als ihr lieb
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