Sommermaerchen
nach alter Tradition ein Ländler. Die Paare stellten sich in zwei Reihen auf, mit dem Gesicht zueinander, und Beatrice stöhnte innerlich auf. Sie bevorzugte den Walzer, denn bei Ländlern verbrachte man oft mehr Zeit mit Herumstehen als mit Tanzen. Von ihrer Position aus konnte sie nicht alle Paare sehen. Sie standen am Ende der Reihe und warteten darauf, dass die Paare nacheinander die Figuren an der Reihe der wartenden Paare entlang ausführten.
In diesem Augenblick tanzte das erste Paar an ihnen vorüber: Priscilla Pendleton und Charles.
Beatrice senkte rasch den Blick und hielt den Atem an. Sie hoffte, er würde sie nicht bemerken, dennoch konnte sie nicht widerstehen, verstohlen aufzusehen, um herauszufinden, ob dem tatsächlich so war.
Das aber hätte sie besser nicht getan. Denn als Charles sie passierte, blickte er ihr mit versteinerter Miene direkt in die Augen. Kurz nur, dann wandte er sich ab, um die restlichen Schritte auszuführen und den Platz am Ende der Reihe einzunehmen.
Er hatte nicht besonders erfreut ausgesehen.
Einige weitere Paare tanzten vorbei, und Beatrice wurde schwindelig. Sie schwankte leicht.
„Geht es Ihnen nicht gut, Miss Sinclair?“, fragte Lord Asher. „Sie wirken ein wenig bleich.“
Beatrice lächelte matt. „Ich bin wohlauf. Ich mag nur diesen Tanz nicht. Man muss so lange stehen und warten.“
Er lächelte. „Keine Sorge. Wir sind bereits an der Reihe.“ Er trat nach vorn, und sie führten die entsprechenden Figuren aus. Beatrice sah Lord Asher unverwandt an, dennoch spürte sie, wann sie an Charles vorüberkamen. Sein Blick schien sich förmlich in ihren Rücken zu bohren.
Nachdem der Tanz beendet war, bot Lord Asher an, ihr eine Erfrischung zu holen, und Beatrice nahm dankbar an. Sie ließ den Blick durch den Saal schweifen, um herauszufinden, wohin Charles gegangen war, damit sie ihm aus dem Weg gehen konnte. Dabei fielen ihr Georgina Emerson und Sissy Riggs ins Auge. Die beiden standen nur wenige Schritte entfernt und flüsterten aufgeregt miteinander. Sie horchte auf. Wenn einer wusste, wo Charles war, dann diese beiden Glücksjägerinnen. Sie konnten vermutlich blind sagen, wo sich jeder wohlhabende Junggeselle von Stand in diesem Saal aufhielt.
„Er kommt herüber, Sissy!“, quiekte Georgina aufgeregt.
Beatrice reckte den Hals, um zu sehen, von wem sie sprachen, und erblickte Charles.
Ihr stockte der Atem. Unwillkürlich heftete sich ihr Blick erst auf sein Gesicht und glitt schließlich über seine maskuline Figur. In dem maßgeschneiderten blauen Abendfrack, der seine breiten Schultern und schlanken Hüften betonte, sah er unglaublich attraktiv aus. Nie zuvor hatte sie einen Mann für schön gehalten, doch er war es. Schön wie ein griechischer Gott. Aber er strahlte auch etwas Gefährliches aus ... etwas Raubtierhaftes. Charles durchquerte den Saal, den Blick unbeirrt auf sie gerichtet.
Sissy flüsterte nervös: „Er kommt tatsächlich herüber, Georgie. Glaubst du, er wird dich um einen Tanz bitten?“
Georgina sagte nichts, doch ein Rascheln ließ Beatrice vermuten, dass sie sich das Haar richtete und ihr Dekolleté ein oder zwei Zentimeter nach unten zupfte.
Charles indes hatte nur Augen für Beatrice. „Miss Sinclair“, sagte er, nahm ihre Hand und küsste sie auf die Innenseite des Handgelenks. Die Innenseite! „Würden Sie mir die Ehre erweisen, diesen Walzer mit mir zu tanzen?“
Beatrice verharrte wie gelähmt. Sie nickte schwach, wohl wissend, dass alle Augen auf ihr ruhten und dass sie, wenn sie ablehnte, Anlass zu Klatsch geben würde. Sie knickste, er verbeugte sich, und sie gingen zur Tanzfläche, wo sie sich zu den anderen Paaren gesellten. Die ersten Klänge der Melodie ertönten, als Beatrice sich plötzlich an Lord Asher erinnerte. „Oh! Bitte entschuldigen Sie, Lord Pelham, ich ...“
„Waren wir nicht übereingekommen, uns beim Vornamen zu nennen?“
„Aber Sie haben mich gerade Miss ...“
„Wir hatten ein aufmerksames Publikum, Beatrice.“
„Oh, natürlich. Es tut mir leid, mir ist gerade eingefallen, dass Lord Asher mir ein Glas Limonade holen wollte. Wenn er zurückkommt und sieht, dass ich nicht auf ihn gewartet habe, wird er mich für schrecklich unhöflich halten.“
Charles überlegte einen Augenblick. „Einen Moment, bitte“, sagte er und geleitete sie an den Rand der Tanzfläche. Bevor sie fragen konnte, was er vorhatte, ließ er sie stehen. Sie kam sich albern vor, auf ihn zu warten, wusste aber
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