Sommermaerchen
Güte, ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich solche Abende genieße. Aber ich bin ganz aus der Übung! Vielleicht hätte ich jenes dritte Glas Champagner lieber nicht ... oh!“ Sie brach ab, als sie an der Tür mit jemandem zusammenstieß.
Ihr verblüffter Blick fiel auf einen Herrn, von dem sie zunächst jedoch nur den stattlichen Oberkörper, gehüllt in einen eleganten Frackrock, wahrnahm. Es handelte sich um einen sehr hochgewachsenen Gentleman, da sie, obwohl sie selbst recht groß war, ihm gerade bis zum schneeweißen, in perfekte Falten gelegten Krawattentuch reichte. Langsam hob sie den Blick und sah sein markantes Kinn und den sinnlichen Mund. Einen Moment konnte sie sich nicht von dem Anblick dieser fein geschwungenen Lippen mit den kaum merklichen Lachfältchen um die Mundwinkel losreißen. Es war der schönste Mund, den sie je gesehen hatte. Ein nie gekanntes Gefühl durchfuhr sie, und fast erschrocken begriff sie, was es war: Verlangen.
Entschlossen sah sie auf und begegnete einem amüsierten Blick aus zwei dunkelbraunen Augen unter dichten schwarzen Brauen. „Ich bitte um Vergebung, Ma’am.“
Er sprach langsam und mit einer tiefen, angenehm klangvollen Stimme, die Eloise unwillkürlich erschauern ließ.
„Dafür gibt es keinen Grund, Sir.“
„Oh, ich denke schon, Lady Allyngham.“
Genüsslich lauschte sie seiner wohlklingenden Stimme, stutzte aber, als er ihren Namen nannte. „Sie wissen, wer ich bin?“
Er lächelte, und Eloise fragte sich erneut, ob sie zu viel Champagner getrunken hatte, da ihr plötzlich so schwindlig wurde.
„Man beschrieb Sie mir als die schönste Frau im Saal.“
Bisher war sie gegen Schmeicheleien jeder Art immun gewesen, doch diese Worte erfreuten sie übermäßig. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder enttäuscht, Alex’ Hand an ihrem Ellbogen zu spüren.
„Wollen wir weitergehen, Mylady?“
„Ja“, antwortete sie, den Blick immer noch auf den faszinierenden Fremden gerichtet. „Ja, das müssen wir wohl.“
Ihr war ein wenig benommen zumute. Wie viele Gläser Champagner hatte sie denn nur getrunken?
Der Fremde trat beiseite. Sein schwarzes Haar schimmerte im Licht der Kerzen, eine Locke fiel ihm in die Stirn, als er sich knapp verbeugte. Eloise unterdrückte die Regung, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.
Alex führte sie entschlossen aus dem Saal und durch den Empfangssalon bis zum Speiseraum.
„Wer ist er?“, fragte sie mit einem verstohlenen Blick zurück. Der Mann beobachtete sie immer noch.
„Ich weiß es nicht.“ Alex trat mit ihr an einen Tisch. „Aber du solltest vorsichtig sein, Eloise. Mir ist aufgefallen, wie er dich angesehen hat. Das war reine, unverhohlene Begierde.“
Sie seufzte. „Die meisten Männer schauen mich auf diese Weise an.“
„Dafür bin ich ja da“, meinte Alex lachend. „Um dich zu beschützen.“
Nachdem sie gespeist hatten, bat Eloise: „Schau, ob du etwas über Lord Berrow herausfinden kannst, Alex. Falls du erfahren solltest, dass er heute Abend überhaupt nicht zu kommen beabsichtigte, brauchen wir nicht viel länger zu bleiben. Obwohl ich glaube, du musst deine Pflicht erfüllen und mit einigen der anderen Damen tanzen.“
„Muss das sein?“
Seine Miene brachte Eloise zum Lachen. „Ja, das muss sein, Alex. Du darfst nicht den ganzen Abend an mir kleben. Die jungen Damen haben mir schon giftige Blicke zugeworfen, weil ich dich mit Beschlag belege. Mach dir wegen mir keine Gedanken.
Ich habe mehrere Bekannte entdeckt, mit denen ich mich gern unterhalten würde.“
Nachdem er gegangen war, schlenderte Eloise lächelnd durch den Raum, blieb aber bei niemandem stehen und nahm auch keine Aufforderung zum Tanz an.
Unermüdlich sah sie sich um, jedoch nicht auf der Suche nach einem ihrer Bekannten, sondern nach dem dunkelhaarigen Fremden.
Plötzlich war er an ihrer Seite. „Möchten Sie mit mir tanzen, Mylady?“
Sie zögerte. „Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden, Sir.“
„Ist das von Bedeutung?“
Lächelnd reichte sie ihm die Hand. „Nein, ganz und gar nicht.“
Er führte sie aufs Parkett, wo sich gerade eine neue Tanzformation bildete.
„Ich dachte, Sie würden Ihrem Wachhund niemals entkommen.“
„Mr Mortimer ist ein sehr guter Freund, kein Wachhund. Er schützt mich vor unwillkommenen Aufmerksamkeiten.“
„Ach? Soll ich daraus schließen, dass meine Aufmerksamkeiten nicht unwillkommen sind?“
Eloise zögerte. Das Gespräch bewegte sich zu
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