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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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schwang. „Wenn ich’s irgendwie hinkrieg‘, bring ich dir nächstes Mal Verbandszeug mit.“
    Alex öffnete seine Augen und schielte zu seinem Fuß. Sein Knöchel war stark geschwollen. Die Haut ringsherum war grünblau.
    „Du solltest nicht mehr herumlaufen“, meinte Juan noch. „Du kannst hier eh nichts ausrichten. Also bleib sitzen und ruh dich aus!“
    Alex erwiderte nichts. Schweigend beobachtete er, wie Juan die Socke wieder hochkrempelte und ihm zurück in den Schuh half.
    „Ich wette, du bist selbst schwul“, rutschte es plötzlich aus Alex heraus. Er sprach ruhiger als erwartet.
    „Nur weil ich dir helfe?“, fragte Juan. Seine Stirn legte sich in skeptische Falten.
    Alex zuckte mit den Schultern. Dann lehnte er sich gegen die kühle Wand und versuchte sich zu entspannen. Juan fegte noch die restlichen Haare zusammen und kehrte sie grob unter die Matratze. Dann klopfte er sich den Dreck von den Händen und richtete sich auf. Offensichtlich war er bemüht, sich wieder von Alex zu distanzieren. Er sagte nichts mehr, sondern schritt zur Tür und öffnete sie. Bevor er ging, wandte er sich noch ein letztes Mal an den Blonden.
    „Mal unter uns“, sagte er und versuchte in dieser absurden Situation zu lächeln. Es war ein Lächeln, das Alex aufmuntern, ihm vielleicht etwas Mut machen sollte. „Ich glaub‘, ich hätt‘ mir auch in die Hose gemacht.“
    Alex riss seine Augen auf. Entsetzt starrte er zu Juan. Er fühlte sich gedemütigt.
    „Nein, im Ernst“, verteidigte sich dieser sofort. „Ich mein‘ … Ich dachte echt, die würden dir dein Gesicht zerschneiden … was schade gewesen wäre …“ Erneut pausierte er. „… um das schöne Gesicht, mein‘ ich …“
    Alex traute seinen Ohren nicht. Die Art und Weise, wie Juan über die Situation sprach, missfiel ihm. Er wandte den Blick ab und starrte auf seine Knie.
    „Verpiss dich einfach!“, zischte er.
    Juan blieb regungslos stehen.
    „LOS!“, brüllte Alex daraufhin und blickte wieder auf. „Verpiss dich!“
    „Sorry, aber –“
    „Aber was?“, fuhr Alex ihn mit letzter Kraft an. „Wolltest du dich über meine Situation lustig machen? Sie verharmlosen?“ Er holte tief Luft. „Du hättest doch tatenlos zugesehen, wenn die sonst was mit mir gemacht hätten, oder?“
    Juan blickte ihm fest in die Augen und schwieg.
    „Hättest du doch, oder?“, hakte Alex nach.
    „Ich muss gehen“, flüsterte Juan. Er trat durch die Tür und griff von außen nach der Klinke.
    Alex atmete aufgeregt ein und aus. Wut stieg in ihm auf. Er beobachtete, wie Juan die Tür zuzog.
    „WICHSER!“, brüllte Alex. „DU BESCHISSENER WICHSER!“
    Die Tür wurde laut zugezogen. Alex hörte, wie Juan sie abschloss.
    Kaum dass er wieder allein war, begann er erneut zu heulen. Er erkannte sich selbst nicht wieder. Jede noch so winzige Stelle an seinem Körper schmerzte. Sein Fuß pochte im engen Schuh, seine Knie brannten, sein Kopf dröhnte. In seinem Magen dehnte sich Übelkeit aus und in seinem Verstand drohte jeden Moment die Sicherung herauszuspringen. Die Haut in seinem Gesicht spannte unter dem Dreck. Bei jedem Atemzug schmerzte seine Nase. Er bekam nur noch schlecht Luft. Getrocknetes Blut verstopfte seine Nasenlöcher, weshalb er durch den Mund atmen musste. Ihm war kalt. Besonders zwischen den Beinen. Unzählige Tränen quollen aus seinen Augen. Laut schluchzend bemitleidete er sich selbst. Etwa einen Meter neben ihm lag die Wasserflasche. Er hatte Durst, doch als er seinen Arm nach ihr ausstreckte, brach er vollends in sich zusammen. Er fiel nach vorn, ließ sich auf die Seite fallen und rollte sich anschließend in Embryonalstellung zusammen. Er umklammerte seine Beine, und als er dann ein letztes Haarbüschel neben sich auf dem Boden entdeckte, wagte er es schließlich, seine Hände zu seinem Kopf zu führen. Vorsichtig und mit zittrigen Händen tastete er ihn ab. Das Bild, das dabei wie ein selbst inszeniertes Spiegelbild in seinem Kopf entstand, erschrak ihn. Am Hinterkopf waren seine Haare noch gewohnte zehn Zentimeter lang. An allen anderen Stellen hatte der Typ sie willkürlich abgeschnitten. Einige Strähnen waren länger, einige kürzer. Es fühlte sich struppig und uneben an.
    Alex hatte nie verstanden, warum ungewolltes Haareschneiden eine Form von Körperverletzung war. Jetzt verstand er es. Er fühlte sich verwahrlost und verunstaltet. Er legte nicht besonders viel Wert auf sein Aussehen. Das brauchte er vermutlich auch nicht. Mit Geld

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