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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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konnte man sich den besten Friseur und die beste Kleidung leisten. Mit beiden Dingen deckte man den Großteil seines Äußeren ab und sah gut aus, ohne viel dafür tun zu müssen. Alex hatte sich nie über sein Aussehen beschwert. Zumindest in diesem Punkt glaubte er, es ganz gut getroffen zu haben. Doch jetzt kam er sich erbärmlich vor. Vermutlich waren seine Haare noch sein kleinstes Problem, doch in jenem Moment trug die Verunstaltung ungeheure Bedeutung. Er empfand sich zum ersten Mal als hässlich. Als hässlich und unwichtig.
    Verzweifelt krallte er seine Finger in die Kopfhaut. So stark, dass es schmerzte. Das gab ihm neben all den anderen Schmerzen das Gefühl, dass er noch lebte und fühlte. Dann dachte er an Ben, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen. Er wusste, dass der Dunkelhaarige bald auf dem Weg zurück nach Flensburg sein würde. Er war dankbar dafür, dass es ihm gut ging. Dennoch hoffte er, dass Ben ihn nicht vergessen und nach ihm suchen würde. Er liebte Ben und hatte alles falsch gemacht.
    Weitere Tränen quollen aus seinen Augen und verflüssigten den getrockneten Schlamm in seinem Gesicht.
    Alex hatte Angst. Angst vor dem, was ihm noch bevorstand und der Ungewissheit darüber, wohin all das führen würde. Eine betäubende Leere stieg in ihm auf. Sie ließ seine innere Stimme verstummen. Er schluchzte noch ein paar Mal, bevor er sich beruhigte und schließlich still und mit geöffneten Augen liegen blieb. Wie gebannt starrte er auf den Dreck vor seinem Gesicht. Die Schmerzen in seinem Körper klangen plötzlich ab. Deshalb stieg eine hysterische Hoffnung in ihm auf und ließ ihn mit sich selbst sprechen.
    „Wach auf!“, nuschelte er. „Komm schon, Alex! Wach auf!“
    Er schloss die Augen und wartete auf die Erlösung. Doch es geschah nichts. Stattdessen stieg ein starkes Schwindelgefühl in seinen Kopf. Alles begann sich zu drehen.
    „Komm schon!“, wiederholte er sich und krallte sich noch fester in seinen Kopf. „Komm schon! Wach verdammt noch mal auf!“
    Doch als er seine Augen nach einigen Minuten wieder öffnete, befand er sich noch immer im schwach beleuchteten Keller.
    Er gab auf. Seine Emotionen verblassten, seine Hoffnung verschwand. Als er genauer über seine Situation nachdachte, musste er gequält auflachen. Er lachte, weil er sich sein eigenes Grab geschaufelt hatte. Er selbst war an alledem Schuld und hatte sich für diesen Weg entschieden. Dabei vergaß er allerdings, dass er beim Pokern nur nach dem Kick gesucht hatte. Nicht mehr. Der menschliche Reiz, um viel Geld zu spielen, hatte ihn in dieses Drecksloch gebracht. Ein Verließ, in dem nicht mehr der Kick zählte und auch nicht der Reiz; in dem es nicht mehr um Geld oder Wohlstand ging.
    Ein Verließ, in dem nur noch eines zählte: sein Überleben.

11
    Erschrocken fuhr Ben hoch. Die Schmerzen, die dabei durch seinen Oberkörper jagten, ignorierte er. Irritiert blickte er sich um. Er lag in Alex‘ Bett und musste ungewollt eingeschlafen sein. Schweiß lag ihm auf der Stirn. Er hatte schlecht geträumt. Von Alex. Er hatte geträumt, dass dem Blonden etwas zugestoßen war. An Genaueres konnte er sich nicht erinnern. Die Bilder waren zu schwammig. Das Einzige, was noch präsent war, war das merkwürdige Gefühl, das der Traum in seinem Magen hinterlassen hatte. Ein ungutes Gefühl.
    Blinzelnd tastete er auf dem Bett nach seinem Handy. Als er es fand, zog er es an sich heran und warf einen flüchtigen Blick auf das Display. Alex hatte sich kein weiteres Mal gemeldet.
    Ben seufzte auf. Dem Blonden konnte nichts passiert sein. Immerhin hatten sie vor ein paar Stunden telefoniert und Alex hatte gesund geklungen und Ben lediglich um eine kurze Auszeit gebeten. Natürlich kam das unpassend. Jetzt, wo Ben zurück nach Flensburg musste. Aber was sollte er tun? Er konnte keinen Suchtrupp losschicken, der mit Spürhunden und Helikoptern loszog, um Alex irgendwo in Hamburg ausfindig zu machen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als Alex‘ Willen zu akzeptieren.
    Er steckte das Handy in seine Hosentasche und schob seine Beine aus dem Bett. Vorsichtig richtete er sich auf. Die Schmerzen waren etwas besser geworden. Wie immer, wenn er sich eine Weile ausgeruht hatte. Noch müde – als wäre er mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf gerissen worden – torkelte er zu seiner Tasche. Er bückte sich und zog den Reißverschluss zu. Dann griff er nach den Henkeln und hievte sie hoch. Vermutlich warteten die anderen schon

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