Sommermond
nicht.“
„Aber ich versuch’s zu verstehen“, gab dieser zurück. „Wir alle versuchen doch, dich zu verstehen.“
Ben zögerte einen Moment, bevor er kaum merklich nickte. „Ich weiß“, flüsterte er. „Ich weiß …“
Mit diesen Worten erhob er sich vom Stuhl und zog sich die Hose glatt. Er spürte Nicks festen Blick auf sich, wich diesem allerdings aus. Mit gesenktem Kopf ging er auf ihn zu und folgte ihm schließlich um das Haus herum zur Einfahrt. An der Haustür blieb er stehen und beobachtete, wie seine Eltern die Taschen in ihren Leihwagen trugen. Jo half ihnen.
„Willst du wirklich mit deinem eigenen Auto fahren?“, fragte Nick. „Ist das nicht zu gefährlich? Die Polizei macht den ganzen Aufwand doch nicht zum Spaß.“
„Das vielleicht nicht“, erwiderte Ben. „Trotzdem ist es schwachsinnig.“
Er hörte, wie Nick aufseufzte.
„Ist es denn okay für dich, wenn ich dich fahre?“, fragte er.
Ben sah zu ihm auf und nickte. „Ich zieh‘ dich allemal meinen Eltern vor.“
Nick lächelte verlegen.
„So!“, rief Jo, schmiss die Kofferraumtür des Leihwagens zu und klopfte sich anschließend in die Hände, als ob er gerade einen halben Wald gefällt hätte.
Bens Mutter warf noch ihre Handtasche auf den Beifahrersitz, bevor sie auf Alex‘ Vater zustürmte. Sie breitete ihre Arme zu beiden Seiten aus und nahm ihn flüchtig in die Arme. Jo reagierte etwas perplex auf die unerwartete Form der Verabschiedung.
„Danke für alles“, sagte Bens Mutter und lächelte höflich. „Wir werden ja sicherlich noch telefonieren.“
„Ja, meldet euch, wenn ihr gut angekommen seid“, gab Jo zurück.
Bens Mutter nickte und ließ nun ihrem Mann den Vortritt. Der streckte seine Hand nach der von Jo aus und schüttelte sie kräftig. Dazu ein männliches Nicken und fertig. Dann wandten sich seine Eltern ab und stiegen in den dunkelblauen Wagen. Bens Vater startete den Motor.
Nick tauschte einen flüchtigen Blick mit Ben, bevor er sich ebenfalls an Jo wandte.
„Ja, dann sag ich auch mal danke“, meinte er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Nick konnte noch nie sehr gut mit gängigen Höflichkeitsformen umgehen.
„Schon gut“, erwiderte Jo sachlich.
Daraufhin schritt Nick zurück zu Ben. Dieser reagierte nicht auf ihn. Sein Blick haftete an dem von Jo. Fest und unnachgiebig.
„Dein Autoschlüssel?“, riss Nick ihn aus den Gedanken und streckte seine Hand aus.
Ben wandte seinen Blick nicht von Jo ab. Nur nebenbei suchte er in seiner Jacke nach dem Schlüsselbund und händigte ihn seinem Exfreund aus, der daraufhin nicht länger zögerte, sondern zum Auto schritt und einstieg.
Ben blieb noch einen Moment stehen. In seinen Augen spiegelten sich all die Vorwürfe wider, die er gegen den Stararchitekten hegte. Dieser starrte ausdruckslos zurück. Erst nach weiteren Sekunden, in denen Nick bereits den Motor angeschmissen hatte, trat Jo in wenigen Schritten auf Ben zu.
„Ben, dann wünsch ich dir –“, begann er und streckte seine Hand aus.
„Erspar’s mir!“, fiel Ben ihm ins Wort. Er wich der Hand aus und trat an Jo vorbei zum Auto. Dort angekommen öffnete er die Beifahrertür und warf Jo noch einen letzten, hasserfüllten Blick zu.
„Wenn Alex zurück ist, kannst du dich ja melden“, sagte er. „Das ist das Mindeste, was du mir schuldest.“
„Ich glaube nicht, dass ich dir etwas schulde“, erwiderte Jo, während seine kurzzeitig aufgesetzte Höflichkeit verblasste. „Deshalb werde ich es auch meinem Sohn überlassen, ob er sich meldet oder nicht.“
Ben schüttelte fassungslos den Kopf. Ohne etwas zu erwidern, beugte er sich nach vorn und stieg in den Wagen. Mit Jos Reaktion hätte er rechnen können. Doch dessen kalte Art erschrak ihn stets aufs Neue. Das war etwas, an das er sich nie gewöhnen könnte. Da war er sich sicher.
Als er noch einmal aus dem Fenster blickte, war Jo bereits auf dem Weg zurück zur Haustür. Ben schaute ihm noch einen Moment hinterher, bevor er es sich unter Schmerzen bequem zu machen versuchte und sich anschnallte. Nick löste die Handbremse und schaltete in den Rückwärtsgang.
„Dass ich mal dein heiliges Auto fahren darf“, sagte er und lächelte.
Ben erwiderte nichts. Er wusste, dass Nick nur die Stimmung lockern wollte, doch danach war ihm derzeit nicht zumute. Dennoch erinnerte er sich gut daran zurück, dass Nick – der lediglich einen alten Cinquecento besaß – ihn oftmals darum angebettelt hatte, seinen Wagen fahren zu
Weitere Kostenlose Bücher