Sommermond
unbedingt“, erwiderte er. „Aber man merkt es ihr an.“
Daraufhin nickte Ben wortlos und begann erneut aus dem Seitenfenster zu starren. Gedankenverloren starrte er auf die Leitplanke, die sich durch ihre Geschwindigkeit in einen schwammig, grauen Streifen verwandelte. Die schwarzweißen Markierungspfosten tauchten dabei so regelmäßig hinter ihr auf wie ein beständiger Puls.
„Nur dein Vater“, sagte Nick, „der kann ihn nicht ausstehen.“
„Neben dir“, korrigierte Ben. „Ich glaub‘, du hasst ihn am meisten.“
„Das würd‘ ich so nicht sagen“, erwiderte Nick. „Ich geb‘ deinen Eltern nur recht. Du wärst fast draufgegangen und Alex war Schuld daran.“
Ben kaute auf seiner Lippe. Er spürte, wie sich Worte in seinem Kopf zu Sätzen zusammentaten, die er nicht aussprechen wollte. Doch er verlor den inneren Kampf und letztendlich sprudelte es einfach so aus ihm heraus.
„Meine Eltern fänden’s bestimmt genauso Scheiße, wenn sie wüssten, dass du mir den Geburtstag versaut hast und nur nach Hamburg gekommen bist, um mit mir zu vögeln.“
Nick reagierte sprachlos. Emotionen ließ er sich allerdings nicht anmerken. Er krallte sich lediglich fester ins Lenkrad und schaltete ruppig in den fünften Gang.
„Zum x-ten Mal“, erwiderte er dann. „Ich war nicht nur für Sex da! Aber das weißt du auch, wenn du ehrlich bist.“ Er pausierte und warf Ben einen seitlichen Blick zu. „Oder?“
Ben zuckte als Antwort mit den Schultern. Er glaubte Nick nicht, wollte ihm dies aber nicht derart direkt offenbaren.
„Und jetzt haben sich die Dinge sowieso noch mal geändert!“, fuhr Nick fort. Er klang aufgebracht und verzweifelt. Gerade so, als ob er ein politischer Redner wäre, der sein Publikum vom fachmännischen Geschwafel überzeugen musste, weil seine Partei ihn unter Druck setzte. „Ich mein‘ … Ich dachte, du würdest sterben! Ich dachte, ich würd‘ dich nie wieder sehen und dir nie mehr sagen können, wie viel du mir eigentlich bedeutest.“
Ben senkte den Blick und starrte ausdruckslos vor sich auf das Handschuhfach. Geistesabwesend begann er damit, gedanklich das gerillte Muster nachzuziehen. Er fühlte sich unwohl in der seltsamen Situation. Nick gestand ihm gerade seine Liebe, während er selbst an niemand anderen als Alex denken konnte.
Nick nahm kurz die Hände vom Lenkrad, hob sie in einer unklaren Geste an und legte sie anschließend zurück.
„Ich will einfach, dass du weißt, dass ich für dich da bin“, sagte er dann und sprach wieder gefasster. „Ich will dir helfen, wenn du mich brauchst. Du bist mit nicht egal, verstehst du?“
Erwartungsvoll blickte er Ben an. Der starrte irritiert zurück und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Einen Moment dachte er darüber nach, wie es ein Protagonist in einem der vielen Filme tun würde. Dabei kam er allerdings zu der Erkenntnis, dass derartige Gespräche und Geständnisse immer nur dann in Filmen (insbesondere in Autos) stattfanden, wenn die beiden Darsteller kurz davor waren, getrennte Wege zu gehen. Da gab es dann immer den einen, der aus dem Gespräch flüchtete, indem er einfach davon eilte oder aus dem Auto stieg, um dem anderen die leere Versprechung zu machen, sich die Tage zu melden.
Doch Ben konnte nicht weg. Er war in seinem eigenen Auto gefangen und musste noch eine Stunde neben Nick ausharren. Also war er gezwungen, zu reagieren. Irgendwie. Doch stattdessen starrte er nur weiterhin vor sich ins Leere und schwieg. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
Vor ihnen lag die Autobahn. Grau und farblos. Auf ihr die vielen Autos, die sich gegenseitig überholten, rechts reihten sich LKWs.
Ben seufzte. Nick saß noch immer neben ihm und wartete auf eine Reaktion. Schließlich räusperte er sich. Innerlich bereitete er sich auf eine Frage vor, die ihm auf der Seele brannte. Nick schien seine Nervosität zu bemerken.
„Alles in Ordnung?“, fragte er.
Ben drehte sich zu ihm und war fast ein wenig erschrocken über die vertraute Stimme, die ihn aus den Gedanken gerissen hatte.
„Nick?“, fragte er dann und hielt kurz inne. „Liebst du mich noch?“
Seine Stirn hatte sich in nachdenkliche Falten gelegt, seine Augen bildeten schmale Schlitze. Er war aufgeregt, obwohl Nicks Antwort keine tragende Rolle in seinem weiteren Leben spielen würde. Doch die Neugierde überwog und ließ seinen Puls um ein Drittel schneller schlagen.
Der Schwarzhaarige schloss seinen halb geöffneten Mund und kaute intensiv auf
Weitere Kostenlose Bücher