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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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konnten.
    Alex hatte diesen Ablauf, von dessen tatsächlichen Eintritt der Spanier überzeugt war, lange Zeit bezweifelt. Doch in der vergangenen Woche hatte er sich sehr viele Gedanken gemacht. Mehrmals täglich war er die einzelnen Schritte im Geiste durchgegangen und war dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass das Ganze tatsächlich funktionieren könnte. Dafür musste er sich nur gut anstellen und seine besten schauspielerischen Leistungen zum Vorschein bringen. Er musste an seine Rolle glauben, sie leben. Nur dann konnte sie ihm von anderen abgekauft werden.
    Er streckte seinen Arm aus und griff nach den inszenierten Einnahmen. Er nahm die Geldscheine, klopfte sie auf seinen Knien zu einem festen Bündel zusammen und ließ sie in der Innentasche seiner Jacke verschwinden. Dann warf er einen kurzen Blick zur Tür und lauschte nach möglichen Schritten. Aber es waren keine zu hören. Jo hielt sich die meiste Zeit im Arbeitszimmer auf. Daran hatte sich nichts geändert. Im Gegenteil. Seit dem Zeitungsartikel war es noch schlimmer geworden. Die letzten Tage war er oft nicht einmal zum Essen herausgekommen und hatte an einigen Tagen sogar vergessen, welches zum Mittag zu bestellen. Das war ungewohnt. Immerhin verfolgte er diese Prozedur, seit Alex denken konnte.
    Er griff nach dem Kokain und stopfte es ebenfalls in seine Taschen. Er drückte es so tief wie möglich und überprüfte danach mehrmals, dass es weder herausrutschen konnte noch sichtbar war.
    Dann piepte sein Handy. Er zuckte zusammen. Sein Pulsschlag beschleunigte sich.
    Erst nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, griff er nach dem schwarzen Telefon und öffnete die Kurzmitteilung.
    Absender: Ben.
    Das brachte ihn völlig aus dem Konzept. Er stöhnte auf und verdrehte die Augen. Einen kurzen Moment überlegte er, die Nachricht zu lesen, entschied sich aber letztendlich dagegen. Stattdessen löschte er sie. Dass er das kaum eine Sekunde später bereute, versuchte er zu verdrängen.
    Die Gedanken an Ben machten ihn fertig. Er wollte dem Dunkelhaarigen so viel sagen, konnte es aber nicht, weil er nicht durfte. Das fühlte sich an, als ob man seinen Willen in ein gläsernes Gefängnis gesteckt hätte, aus dem er seine Umwelt noch sehen, aber nicht mit ihr interagieren konnte.
    Kaum hörbar seufzte er auf. Das Handy behielt er in seinen Händen.
    Es war schon spät. Draußen zogen dunkle Wolken auf, die sich wie ein riesiger Schatten vor den Himmel legten. Bis eben hatte es geregnet. Doch nun erinnerten nur nasse Wege und Wiesen an das kurzzeitige Unwetter.
    Alex‘ Nervosität wurde immer stärker. Was, wenn etwas schief gelaufen war? Was, wenn er irgendetwas falsch verstanden hatte und nun auf etwas wartete, das gar nicht eintreffen würde? Was wäre dann mit Ben? Die Typen würden sein ungewolltes Fehlverhalten vermutlich als dankenden Anlass nehmen, um ihre Drohungen zu verwirklichen.
    Fahrig kratzte er sich am Hinterkopf und tippte immer schneller mit seinen Füßen auf den Boden. Bei jedem Mal zog ein kurzer Schmerz durch seinen Fuß, der aber immer so schnell abklang, dass dieses befreiende Gefühl eine Art Kick darstellte: Schmerz, kein Schmerz. Schmerz, kein Schmerz. Schmerz, kein Schmerz. Ersteres war übel, Zweiteres befriedigend.
    Er war so intensiv mit dieser körperlichen Grenzaustestung beschäftigt, dass er kaum mitbekam, wie eine weitere halbe Stunde davonschlich. Erst als das Handy in seiner Hand vibrierte und dazu laut piepte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er schüttelte die Verwirrtheit von sich und atmete tief durch.
    „Bitte nicht wieder du, Ben“, murmelte er, während er die Mitteilung öffnete.
    Seine Bitte erfüllte sich. Die SMS kam von einer unbekannten Nummer und beinhaltete nur ein einziges Wort: Hauptbahnhof .
    Erneut beschleunigte sich sein Puls und auch sein Herz hämmerte noch kräftiger gegen seine Brust. Als er aus einem Reflex heraus schlucken musste, war seine Kehle staubtrocken. Er schluckte gleich noch einmal und spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
    Jetzt wurde es ernst.
    Die Aufregung zog sich bis in seine Hände und ließ sie kalt und schwitzig werden. Bis eben hatte er gehofft, dass die ganze Sache noch einmal vertagt werden würde. Er hatte gehofft, sich dem Ganzen doch noch entziehen zu können. Wie auch immer. Natürlich war das absurd. Das wusste er. Doch diese erschreckend reale SMS in seinem erschreckend realen Zimmer ließen den Hilfeschrei des alten Alex noch einmal lauter werden. Er

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