Sommermond
Iwan wirkte kritisch.
„Du kennst ihn bereits“, war seine Antwort.
Alex warf ihm einen irritierten Blick zu. In seinem Kopf begann es zu rattern. Wenn er den Kerl schon kannte, hatte er seine Aufgabe bereits erfüllt. Der Spanier wollte nur einen Namen.
Konnte das sein? Konnte es sein, dass Alex ihm nur noch den Namen nennen musste und dann mit der Sache durch war? Das klang zu gut, zu vielversprechend. Es musste einen Haken geben.
„Wer ist es?“, fragte er. „Wenn ich ihn kenne … Wer ist es?“
Wieder tauschten Iwan und Sergej einen wortlosen Blick.
„Warum willst du das so genau wissen?“, fragte Iwan.
In seinen Worten schwang Misstrauen. Alex musste sich zusammenreißen. Er durfte nicht zu neugierig wirken. Erneut ließ er die vergangenen Wochen in seinem Kopf Revue passieren, ging all die Russen durch, die er durchs Dealen kennengelernt hatte. Doch keiner von ihnen erwies sich als jemand, der dazu in der Lage war, eine ganze Mafia anzuführen. Keiner von ihnen strahlte diese Besessenheit und diese Macht aus, die er vom Spanier kannte.
„Ich will nur wissen, mit wem ich’s zu tun hab“, versuchte Alex abzutun. „Ist das zu viel verlangt?“
„Du hast hier gar nichts zu verlangen!“, mischte sich Sergej ein.
Alex warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Gleichzeitig kam er zu der Erkenntnis, keine weiteren Informationen mehr aus den beiden herauszubekommen. Er fühlte sich mies dabei. Es war, als ob er das Ziel eines bedeutenden Wettkampfes knapp verfehlt hatte, und es dauern konnte, bis er diesen Wettkampf ein weiteres Mal antreten durfte.
Um ein Haar hätte er erfahren, wer der Hintermann war. Um ein Haar hätte der ganze Spuk ein Ende gehabt. Doch dann war der Wind gekommen und hatte das Haar – und damit die Spur – weggeweht.
Er wandte sich um und setzte seinen rechten Fuß ins Wageninnere. Als er dann den zweiten hinterherziehen wollte, hörte er plötzlich Iwan. Er kam ein Stück näher, hielt die Fahrertür auf und beugte sich zu ihm herunter.
„Pawlow“, sagte er knapp und richtete sich anschließend auf. Sein Blick klebte dabei fest an dem von Alex – als ob er überprüfen wollte, wie Alex reagierte.
In Alex‘ Kopf begann es zu arbeiten. Der Name sagte ihm etwas, aber er schaffte es nicht, ihn mit einer Person oder Situation in Zusammenhang zu bringen. Erneut ging er die gesamte Russenschaft durch, kam aber zu keinem Ergebnis. Iwan schien das zu bemerken. Dieses Mal tauschte er keinen flüchtigen Blick mit Sergej, bevor er hinzufügte: „Im Hirschpark. Erinnerst du dich?“
Alex sah zu ihm auf. Sofort machte es klick . Jetzt erinnerte er sich wieder. Pawlow war derjenige, dem er zu Beginn seines Auftrags vorgestellt worden war. Er war ihm nur kurz begegnet. Deshalb schien sein Gedächtnis diese Information als unwichtig wegsortiert zu haben. Dabei war sie alles andere als das. Sie war die bislang wichtigste Information.
Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, musste er seine Rolle weiterspielen. Iwan erwartete eine bestimmte Reaktion, und diese musste er ihm liefern.
„Der alte Kerl?“, fragte er. „Der steht doch schon mit einem Fuß im Grab …“ Er stockte kurz, zog seinen noch freien Fuß in den Fußraum und steckte den Schlüssel in die Zündung. „Der will euer Anführer sein?“
Er spielte den Gelassenen, Ahnungslosen, doch in seinem Inneren kochte das Adrenalin. Er konnte kaum glauben, wie weit er es geschafft hatte. Seine harte Arbeit schien sich rentiert zu haben. Sobald er dem Spanier diese neuste Information überbracht haben würde, würde er alledem ein Ende setzen können. Schneller als erwartet. Diese Erkenntnis löste zum ersten Mal seit Wochen ein Gefühl von Stolz und Optimismus in ihm aus.
„Unterschätz ihn nicht!“, sagte Iwan. „Und lass dir gesagt sein, ihm nur unter guten Umständen zu begegnen. Alles andere wäre dein sofortiger Tod.“
Dieses Mal brauchte Alex seine Reaktion nicht spielen. Erschrocken starrte er zu Iwan, der ernst zurückblickte. Er schien zu wissen, wovon er sprach.
Alex versuchte sich an Pawlow zu erinnern. Doch an jenem Abend war es schon sehr dunkel gewesen. Er erinnerte sich nur noch an den Bart und den sauber gekämmten Seitenscheitel, um den die Haare fettig und strähnig ausgesehen hatten.
„Als ob …“, entgegnete er schließlich. „Warum sollte er mir was antun? Vermutlich bin ich sein bester Mann.“
Iwan lachte schal auf. „Nur weil du Kohle anschaffst, macht dich das noch lange
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