Sommermond
sah sie plötzlich aus, als wäre sie einem billigen Rollenspiel entsprungen. Der Glatzkopf schubste Alex bis zur Treppe. Offenbar war das seine Art, sich an Alex‘ Kommentar, den er vorhin in Pawlows Zimmer gewagt hatte, zu rächen. Doch das war Alex egal. Jeder Schubs brachte ihn zum Lachen, statt ihn zu verärgern. Er fühlte sich beflügelt. Der Glatzkopf ließ sich davon jedoch nicht irritieren. Er riss Alex mit sich und zerrte ihn die helle Treppe hinunter. Unten angekommen schubste er ihn noch einmal so grob, dass Alex nach vorn taumelte und sich mit beiden Händen an einer Säule der Arkade abfangen musste. Als er anschließend aufblickte, sah er Iwan und Sergej auf sich zukommen. Sie grinsten dreckig.
„Sieht aus, als wäre es gut gelaufen“, sagte Iwan.
Alex drückte sich von dem kühlen Stein und richtete sich auf. Er verstand, wie Iwan seine Worte meinte. Wäre es schlecht gelaufen, würde er sich nicht derart lebendig fühlen.
„Ihr sollt mich nach Hause bringen“, entgegnete Alex.
„Ach, wie süß!“, erwiderte Iwan in mütterlich verstellter Stimme. „Hast du etwa Angst im Dunkeln?“
„Halt die Fresse …“, murmelte Alex.
Erneut zog er sein Hemd glatt. Sein Puls jagte noch immer. Unruhig tippte er mit seinen Händen gegen seine Seiten. Er war voller Energie und fühlte sich, als hätte man ihm eine Amphetamin-Spritze verpasst.
Iwan entgegnete nichts. Er wandte sich zur schwarzen Haustür und öffnete sie. Sergej streckte seinen Arm aus und wollte Alex packen, um ihn nach draußen zu zerren. Doch Alex wich im richtigen Moment aus und ging allein. Die Luft war angenehm kühl. Alex genoss sie auf seiner überhitzten Haut. Er folgte Iwan und Sergej zum teuren Mercedes und wartete, bis Iwan ihn öffnete. Er stieg hinten ein und ließ sich erschöpft ausatmend auf dem beigefarbenen Leder nieder. Sergej setzte sich neben ihn und musterte ihn argwöhnisch. Alex blickte zurück.
„Findest du mich scharf, oder was?“, fragte er.
Darauf erwiderte Sergej nichts, verzog lediglich sein Gesicht und wandte sich von ihm ab. Iwan stieg vorn ein und startete den Motor. Das Scheinwerferlicht fiel auf die helle Hausfassade. Er setzte ein Stück zurück, schlug links ein, wendete und fuhr bis zum Tor. Kaum dass der Wagen stand, öffnete sich dieses wie von Geisterhand. Iwan fuhr von der Einfahrt und bog links ab. Alex starrte aus dem Fenster. Zwischen den vielen Villen fühlte er sich plötzlich verloren und hatte kurzzeitig das Gefühl, sich in einem Labyrinth zu befinden, aus dem nur Iwan den Ausweg kannte. Es kam ihm vor, als würden sich die hohen Hecken nach vorn beugen, um den Wagen im Schatten der Dunkelheit zu verschlingen. Alex schüttelte kräftig den Kopf und versuchte seine Hirngespinste auf diese Weise loszuwerden. Es gelang ihm sogar. Nachdem er seine Augen für einen kurzen Moment zusammengekniffen hatte und sie anschließend wieder öffnete, waren die Hecken wieder leblos.
„Und? Wie geht’s weiter?“, riss ihn Iwan aus den Gedanken.
Alex zuckte gelassen mit den Schultern.
„Sag du’s mir!“, erwiderte er. „Laut Pawlow wirst du ab heute mein engster Vertrauter sein.“
Iwan warf ihm einen kritischen Blick durch den Innenspiegel zu. Die Nasenlöcher seiner breiten Nase weiteten sich beim Atmen.
„Verstehe“, sagte er dann.
„Gut“, sagte Alex.
„Wir besprechen das morgen.“
Alex nickte. Geistesabwesend starrte er weiter aus dem Fenster. Als Iwan auf die Elbchaussee bog, war er froh, dem abnorm reichen Milieu entkommen zu sein. Es wirkte irgendwie bedrohlich. Er wollte sich nicht vorstellen, was für Kerle in den anderen Villen wohnten. Vermutlich hatten sie alle ihre Leichen im Keller.
Innerlich fühlte er sich wie ausgewechselt. Er konnte spüren, wie das Rauschgift durch seine Adern jagte. Er war völlig überdreht. Mit jeder weiteren Minute fiel es ihm schwerer, seinen Taten- und Bewegungsdrang zu zügeln. Er bekam Lust auf laute Musik, Tanzen und Sex. Zu Hause würde er erst einmal auf seinen Erfolg anstoßen. Mit einem Schluck Cognac. Mehr wollte er seinem ohnehin berauschten Körper nicht zumuten.
Er hatte es geschafft. Drei harte Monate hatte er hinter sich gelassen, und jetzt lagen nur noch drei letzte Tage vor ihm, bis das alles ein Ende hatte. Dann würde er wieder er selbst sein können, es zumindest versuchen. Er konnte den Duft nach Freiheit schon riechen und es kaum noch erwarten, den inszenierten Deal hinter sich zu bringen. Auf eine seltsame Art
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