Sommernachts-Grauen
bis der Angreifer einsehen musste, dieses Revier nicht übernehmen zu können.
Mit geknicktem Sterz flog die geschlagene Amsel davon. Voller Stolz hüpfte die Revier-Amsel über den Boden, schaute sich um, ob alle anderen ihre erfolgreiche Verteidigung mit angesehen hatten und man sie zukünftig in Ruhe lassen würde.
Mit ihren kleinen Krallen hinterließ sie Spuren auf dem Kopfsteinpflaster, so als ob sie Tinte unter ihren kleinen Füßchen gehabt hätte, nur dass diese rot war. Die Amsel schien es nicht weiter zu stören. Noch immer hüpfte sie aufgeregt hin und her. Dann erhob sie sich ein Stück und flog auf einen leblosen Körper, der vorkurzem hier zurück gelassen worden war.
Unter ihm floss zähflüssiges Blut hervor. Merkwürdig verdreht lag die Leiche auf dem Boden, der Blick war Richtung Himmel gerichtet, der so unglaublich trügerisch Harmonie verbreitete. Die Frau, die vor wenigen Minuten voller Freude über diesen herrlichen Abend gewesen war, hätte sich nie träumen lassen, auf diese Weise aus dem Leben zu treten. Den Schlag auf den Hinterkopf hatte sie ebenso wenig erwartet wie die Klinge eines scharfen Messers in ihrem Gesicht.
Die drei Freunde hatten sich auf den Weg zu Martins Eckkneipe gemacht, die mitten im Viertel des Großneumarkt lag, was den Mittelpunkt der nördlichen Neustadt ausmachte und wo sich bereits in den 70er Jahren die unterschiedlichsten Kneipen angesiedelt hatten. Im Sommer lag rund um den Platz bis spät in die Nacht ein Klangteppich der sich unterhaltenden Menschen, die nicht nur aus dem Viertel stammten.
Gerade passierten sie den S-Bahnhof Stadthausbrücke , als sich Ellas Haut an den Armen trotz der Hitze mit einer feinen Gänsehaut überzog. Ein Umstand, der sich grundsätzlich einstellte, wenn sie an diesem Ort vorbeikam.
„Sag mal, frierst du?“, wollte Susi wissen.
„Nein, eigentlich nicht. Wie könnte mir auch bei der Hitze kalt werden?“, entgegnete Ella.
„Weil du erstens irgendwie verfroren wirkst und zweitens eine Jacke trägst.“
„Das ist doch nur wegen des Überfalls damals, der gruselt mich noch immer und außerdem brauche ich meine Jacke, da ich keinen Bock auf eine Handtasche habe. Das nervt mich, das weißt du doch.“
„Wenn du wie ich eine Jeans angezogen hättest, dann bräuchtest du auch keine Tasche.“
„Das wäre mir viel zu warm.“
„Das muss ich jetzt nicht verstehen, oder?“
„Guck mich nicht so an“, sagte Reiner, „ich versteh euch Frauen in der Hinsicht eh nicht.“
Er tippte sich mit einem Zeigefinger an die Stirn.
„Wieso müssen wir eigentlich schon wieder Croques essen?“, wollte Susi wissen und grinste Reiner breit an.
„Fang nicht wieder so an“, sagte Ella, die langsam genervt war, dass Susi ständig ihre Spitzen Richtung Reiner abfeuerte.
„Ich werde jedenfalls keinen essen. Ich hab Bock auf Gummiringe.“
„Sie meint panierte Calamaris“, erklärte Ella Reiner, dem sie ansah, dass er es nicht verstanden hatte.
„Und wie sollen wir ins ‚Café Malaria‘ kommen? Weißt du, was ein Taxi in die Eimsbütteler Chaussee kostet?“, fragte Ella eher rhetorisch.
Grundsätzlich war Ella froh, dass sie es kaum vermisste, ein Auto zu besitzen. Durch die räumliche Nähe zur Innenstadt konnte sie die meisten Wege zu Fuß erledigen und alle größeren Entfernungen mit der U-Bahn überwinden. Lästig war es lediglich an den Wochenenden. Sie war darauf angewiesen, dass ein Freund sie in seinem Auto mitnahm, denn die Lokalitäten verteilten sich über das gesamte Stadtgebiet.
„Wenn Meier da ist, dann frag ich den. Der nimmt uns bestimmt gern mit. Der mag dich“, sagte Susi.
„Ja klar, der findet mich super“, sagte Ella. Noch immer dachte sie nicht gern an die Nacht mit ihm. „Außerdem passen in sein Auto nur zwei.“
„Ich geh auch freiwillig auf die Rückbank. Aber du, Reiner, wirst nicht mitkommen können.“
„Was für eine Rückbank? Wäre mir neu, dass ein Fiat 500 tatsächlich so etwas besitzt. Wenn Meier eine Kiste Bier kauft, dann hat der doch schon Probleme selbst mit in sein Auto zu passen“, sagte Ella.
„Kann mir mal einer erklären, warum ihr den nur Meier nennt? Heißt der so, oder was?“, fragte Reiner, der versuchte Susis Argwohn gegen ihn zu ignorieren.
„Nee, das ist sein Spitzname“, sagte Ella.
„Ach was, das ist ja besonders originell.“
„Das kommt nicht von einem Nachnamen, sondern von dem Würfelspiel.“
„Was für ein Würfelspiel?“
„Du kennst
Weitere Kostenlose Bücher