Sommernachts-Grauen
brauchen und wenn der Tumult erst mal vorbei ist, dann wirst du sehen, die kommen dann alle zu dir, um auf den Schreck einen zu trinken.“
Ella sollte Recht behalten. Knapp eine halbe Stunde später füllte sich der Laden und ein Klangteppich aus aufgeregter Unterhaltung legte sich über alles. Bisher hatten sie wenig gesprochen, jeder hing seinen Gedanken nach. Ella versuchte Gesprächsfetzen aufzufangen, um herauszufinden, was passiert war.
Offensichtlich kannte man die junge Frau, die hier im Viertel gewohnt hatte. Eine schreckliche Tragödie sei das. Immer wieder wurde die Frage gestellt, was das für ein Perverser sein musste, der Frauen derart entstellte. Es sei höchste Zeit, dass die Polizei endlich etwas unternahm, man sei ja in der Stadt nicht mehr sicher.
„Komisch“, hörte Ella jemanden sagen, „dass es immer an einem Freitagabend passiert.“
Langsam versuchte Susi ihre Fassung wieder zu finden und löste sich von Reiner, lächelte ihn sogar an.
„Geht’s wieder?“, wollte er wissen. In seiner Stimme lag eine geradezu liebliche Fürsorge, die Ella noch nie bei ihm wahrgenommen hatte.
Susi nickte mit dem Kopf und trank ihr Bier aus. Reiner wurde ein Croque serviert, Ella war der Appetit vergangen. Genüsslich biss er hinein, er schien Hunger zu haben.
Die kleine Eckkneipe war beinah überfüllt und noch immer strömten Menschen herein. Breit grinste Martin und sorgte dafür, dass Ella noch ein Bier bekam, wofür sie später nichts würde zahlen müssen. Die Luft war heiß und über allem waberte Rauch von meist selbstgedrehten Zigaretten. Nach und nach trafen auch Ellas Freunde ein. Man verabredete sich grundsätzlich nicht. In irgendeiner der Kneipen würde man sich über den Weg laufen und meist begann man den Abend eben hier bei ‚Ecke‘.
An diesem Abend gab es nur ein Gesprächsthema, was sich fortwährend wiederholte, sobald sich ein weiterer Freund zu ihnen gesellte. Ella hatte kein Interesse zum fünften Mal davon zu berichten, wie der Schrei der Frau, die offensichtlich die Getötete entdeckt hatte, das Viertel erschreckte. Als ob es nicht ohnehin schon unerträglich heiß in der Kneipe war, quetschten sich immer mehr Freunde auf die kleine Eckbank, auf der Ella, Susi und Reiner Platz genommen hatten.
Ella rann der Schweiß den Rücken hinunter. Sie sah sich um, ob es eine Möglichkeit gab, weitere Stühle an den Tisch zu stellen, aber die meisten der Gäste standen bereits. Während Ella weiterhin ihren Blick in die Menge richtete, fiel ihr plötzlich ein Hinterkopf auf, der ihr bekannt vorkam. Obwohl sie kaum in der Lage war, ihn sich genauer anzusehen, wusste sie trotzdem, wer in der Menge stand und rauchte. Als er sich umdrehte, lächelte er sie sogar an, zog an seiner Zigarette und widmete sich wieder seinen Freunden.
„Da drüben steht Claus“, sagte sie mehr zu sich selbst, denn sie war sich nicht sicher, ob ihr überhaupt jemand zuhörte.
„Echt? Wo?“, wollte Susi wissen. „Ich würde ja zu gern wissen, wie der aussieht.“
Susi reckte ihren Hals und versuchte im Gewirr der Menschen etwas zu erkennen.
„Da drüben, der Typ mit dem Holzfällerhemd und dem unmöglichen Haarschnitt.“
„Wo denn, ich seh’ nix.“
Als Ella genauer sehen wollte, wer neben Claus stand, um es Susi besser beschreiben zu können, war er verschwunden.
„Komisch, eben stand er noch da, hat geraucht und sich unterhalten.“
„Wahrscheinlich hast du dich geirrt, was bei der Fülle kein Wunder wäre.“
„Ja, kann schon sein.“
Ella sah auf ihre Armbanduhr und versuchte zu erkennen, wie spät es war. Ihre neue Uhr war zwar modisch angesagt, aber leider war sie als Gebrauchsgegenstand nicht zu nutzen. Sie drehte ihren Arm, um die dünnen, neongrünen Zeiger in dem durchsichtigen Plastik sehen zu können. Zudem war das Ziffernblatt ebenfalls in einem leuchtenden Grün gehalten. Wer dachte sich nur so ein schwachsinniges Design aus, dachte Ella und ärgerte sich, so wahnsinnig viel Geld für dieses Stück Kunststoff ausgegeben zu haben. Schwach konnte sie erahnen, dass es kurz nach zehn sein musste.
„Du meine Güte, was ist denn hier los?“, fragte Frank, der seine neue Freundin Manuela im Arm neben sich hatte.
Ella schaute auf, lächelte, aber freute sich in keiner Weise, die beiden zu sehen. Sie konnte die Freundin ihres Ex-Freundes nicht ausstehen und absolut nicht nachvollziehen, was Frank veranlasste, sich mit so einer Frau abzugeben. Sie passte nicht in die
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