Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Büchlein heraus und reichte es mir. Ein Wasserfleck mit den Konturen von Cape Cod oder eines angewinkelten Arms zierte den Einband, und die antike Typografie entsprach den gestalterischen Gepflogenheiten des siebzehnten Jahrhunderts: eine Mischung verschiedener Schriftarten aus Gründen der Hervorhebung und diese merkwürdige Sitte, ein s durch ein f zu ersetzen. Ich musste den Text bereinigen, während ich ihn meinen Gefährten vorlas.
UNTERSUCHUNGEN DER VERMEINTEN UND SO GENANNTEN HEXEREYEN : worin zwar zugegeben wird, dass es an mancherlei Betrug und Äffereien nicht fehle, auch dass viele Personen von ihrer melancholischen Phantasie oft gewaltig hinters Licht geführet warden. Doch dass es einen Leiblichen Bund gäbe zwischen dem Satan und der Hexe, Oder dass er am Leib der Hexen sauge, Fleischliche Kopulation habe, oder dass Hexen in Katzen und Hunde verwandelt würden, dass er Stürme erhebe oder Ähnliches, wird gänzlich bestritten und widerlegt.
Fürderhin wird hierin behandelt, Die Existenz von Engeln und Geistern, die Wahrheit über Erscheinungen, die Natur von Astralen und Siderischen Geistern, die Kraft von Amuletten, und Zaubergetränke; und andere abstruse Bewandtnisse. Von John Webster, Praktiker der Physick. London.
Gedruckt von J. M . und verkauft von den Buchverkäufern in London , 1677 .
»Ein starkes Stück«, sagte Jane. »Die Stelle über das Erheben von Stürmen.«
Dolly gab ihr einen Klaps auf den Oberarm. »Und wie Hexen sich selbst in Katzen und Hunde verwandeln können. Ich hatte mal ein Hündchen. Wie hieß es noch?«
Über meine Schulter spähend, las der alte Mann die Titelseite noch einmal für sich; das Geraune aus seinem Mund klang nach wie das Schwirren von Kolibris. »Ah, das Wesentliche entgeht euch, Ladys, weil ihr euch auf das Sensationelle stürzt. Dieses Buch ist eine Abhandlung darüber, dass die ganze Angelegenheit der Hexerei nichts anderes ist als eine Täuschung und dass Hexen in Wirklichkeit Hysterikerinnen sind und unser Glaube an solche Dinge ein Fall von Melancholie und Fantasie. Ist es nicht so, Miss Bonham?«
Ich hatte nie an diesen ganzen Hokuspokus, an Geistergeschichten und Märchen geglaubt und mich vor langer Zeit damit gebrüstet, vollkommen rational zu sein und einen klaren Verstand zu haben. Daher freute es mich, dass der alte Mann solche Behauptungen anfocht und dass es uralte Werke zu entdecken gab wie das von John Webster, welches zum Ziel hatte, die Aufmerksamkeit auf das Betrügerische und Irrationale zu lenken und es darzustellen. Als könnte sie meine Gedanken lesen, stand Miss Alice Bonham in der Mitte des Badezimmers und begann sich zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, in Pirouetten wie eine Ballerina, dann schwindelerregend wie ein Derwisch, wobei ihr Kleid wie eine Sirene aufleuchtete und ihr peitschendes Haar ihr Gesicht verbarg. Und während sie sich drehte, zog sie die Glassplitter vom Boden an wie ein Magnet Metallspäne oder eine gegenläufige Zentrifuge. Die zackigen Scherben spießten sich nicht in sie hinein, sondern hafteten an ihrem Kleid, bis es glitzerte und mit reflektierenden Lichtgirlanden geschmückt war. Als sie ihre Drehungen verlangsamte, sprangen die Glasstücke von ihr ab und zurück zum Spiegelschrank über dem Waschbecken, bis letztendlich der Spiegel vollständig wiederhergestellt war; die Scherben hatten sich zu einem kunstvollen Puzzle zusammengefügt, dessen Ränder miteinander verschmolzen, als hätte nie etwas die makellose Oberfläche gestört. Während Alice zum Stehen kam, seufzte sie tief, wobei Dampf von ihren Fersen aufstieg wie bei einer altmodischen Lokomotive, die zur Ruhe kommt. Wir waren sprachlos über ihren Trick.
Der alte Mann nahm mich beiseite. »Vielleicht«, raunte er, »habe ich mich etwas voreilig geäußert.«
Über das Bad, das nun wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandelt war, senkte sich Schweigen, weil wir gespannt abwarteten, welche Bewegung Alice wohl als Nächstes machen würde. Sie ging zu der grauen Schachtel, zog ein einzelnes, mit feiner Handschrift beschriebenes Blatt heraus und reichte es Jane, die sie mit einem Kopfnicken ermunterte, es vorzulesen.
Dorf Salem
6. Juni 1691
Geliebte Schwester,
ich trage nun, da der kalte Winter beginnt, Deinen gestrickten Liebesbeweis um Hals und Schultern, der mich Dich nicht vergessen lässt, auch wenn er nur ein schwacher Trost ist und keineswegs Deine mir schmerzliche Abwesenheit ersetzt. Liebe Sarah, ich
Weitere Kostenlose Bücher