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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Völlerei. Er las weiter.
    »Jeden zweiten Tag kochte ich für ihn und wurde dadurch so geschickt, dass niemand mehr den Unterschied zwischen meiner und Hachards Zubereitung herausschmeckte. Was sehr gut war, denn nach sieben Jahren – etwa zu der Zeit der amerikanischen Auflehnung gegen den englischen König – hatte Hachard genug verdient, um ihren Vertrag einzulösen. Natürlich wusste ich seit Langem, dass ihre Ersparnisse angewachsen waren, doch als dann der Tag kam, an dem sie mir ihr Geld zeigte, den letzten Piaster, den sie mit einem Mitternachtsbankett verdient hatte, erschien mir die Endgültigkeit sehr plötzlich. Morgen, sagte sie, gehe ich zum Master. Hör zu, morgen wird er nicht mehr Master sein, sondern einfach nur M. Foiegras. Wir lachten ein bisschen, doch die Melancholie warf mich um wie ein Sommersturm. Hachard war, seit meine eigene Mutter und meine Schwestern so grausam weggeführt worden waren, wie eine Mutter für mich. In meinem Gefühl vermischten sich die beiden Ereignisse, ich war wieder vierzehn und stand allein im Hafen von Saint-Domingue. Doch ich freute mich auch für sie, denn sie hatte eine lange Knechtschaft durchlitten und würde nun ihre müden Knochen ausruhen und etwas Entspannung finden können. Mit dem Daumen wischte sie mir die Tränen aus dem Gesicht. Ma chérie , sagte sie, weine nicht. Wir sind Freundinnen für immer, und ich werde dich besuchen, so lange es die Gans und seine Frau erlauben. Wir werden nicht weit auseinander sein. Der große Kerl hat eine Wohnung in der Nähe von Pointe Coupée, und du gehst jetzt sonntags zu den Tanzveranstaltungen auf dem Platz und wirst uns dort treffen. Schau dich an, du bist zu einer Frau geworden. Zeit für ein bisschen Liebe, spreize deine Flügel und genieß das Leben. Und auch du wirst eines Tages deine Freiheit haben. Wer weiß, vielleicht werden der große Kerl und ich noch reich, und dann können wir dich der alten Gans abkaufen.
    Mit Herzblut gegebene Versprechen sind am schwierigsten zu halten. Nachdem Hachard das Haus verlassen hatte, wurde sie zu einer Fremden, obwohl ich sie ebenso vermisste wie meine eigene Mutter. Im ersten Jahr trafen wir uns vielleicht fünfmal, im zweiten viermal, im dritten zweimal und dann gar nicht mehr. Uns trennte nur eine Flussbiegung, doch es hätte auch ein Meer sein können. Jahrelang sahen wir uns nicht mehr. Einige Monate nach dem großen Feuer am Karfreitag ’88, als es schien, ganz New Orleans sei abgebrannt, nahm ich die kleine Clothilde mit zur Perseverance Benevolent and Mutual Aid Society, denn mein ganzes Geld war in Flammen aufgegangen. Und dort sah ich Hachard, alt, grau und in sich zusammengesunken. Wie ein sterbender Baum, der aber noch einige wenige einsame Blätter hatte. Sie weinte, als ich sie küsste.
    Maman Hachard, fragte ich, was ist mit dir geschehen? Jedes Funkeln war aus ihren Augen verschwunden. Nicht einmal das Kind auf meinem Arm interessierte sie. Ich habe nichts, krächzte sie ohne einen einzigen Zahn im Mund. Nicht einen Peso. Alles weg. Daran ist nichts zu ändern. Ich setzte das Baby auf die Bank neben sie und holte einen Schluck Wasser. Trink, Maman, deine Lippen sind vor Durst ja schon ganz aufgesprungen, und es ist so heiß, dass man den Teufel braten könnte.«
    Als er ihre Zehenspitzen erreicht hatte, richtete der alte Mann sich auf und ging um Marie herum, bis er auf ihren Schulterblättern die Fortsetzung gefunden hatte, wo die Wörter wie Striemen auf ihrem Rücken verliefen. Die anderen Frauen hatten ihre Flusskrebse verspeist, und die Schalen glänzten im Waschbecken wie Perlmutt. Das Baby schlief ruhig in seinem Korb. Vor dem Fenster hing das Louisiana-Moos von den Zypressen, und aus den Sümpfen hörte man die Alligatoren brüllen.
    »Nachdem Hachard mühsam einige Schluck Wasser getrunken hatte, erzählte sie von den Begebenheiten, die sich seit ihrem Weggang von der Familie LaChance zugetragen hatten. Ich wusste natürlich, dass sie den großen Kerl geheiratet hatte und zu ihm nach Pointe Coupée gezogen war, wo die beiden unter den Maroons lebten, doch von ihren Sorgen hatte ich nichts gehört. Er war schon kurz darauf zusammengebrochen, ein Opfer von zu vielen Jahren Knochenarbeit im Hafen und von zu viel Rum und Zucker. Mein ganzes Leben, sagte sie, habe ich mich um jemanden gekümmert. Zuerst um meinen Papa, dann etwas über dreißig Jahre um die alte Gans und ihre Kinder und dann habe ich zehn Jahre den großen Kerl gepflegt und zugesehen,

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