Sommernachtsgeflüster
etwas Brauchbares. Sie stöberte in deren Zimmer die Tragetasche mit den aussortierten Sachen durch und fand ein paar Turnschuhe, die vielleicht ganz brauchbar waren. Bequeme Schuhe waren auf jeden Fall wichtig, wenn sie tagelang eine Galerie nach der anderen besuchen wollte. Und Petals Turnschuhe hatten anders als die Theas den Vorzug, niemals für etwas Schweißtreibenderes genutzt worden zu sein als einen Einkaufsbummel. Die Turnschuhe waren aber auch das Einzige von Petals Sachen, das Thea passte.
Als sie gepackt hatte, überlegte sie, ob sie ihren Ordner mit Material für die Ausstellung der Absolventen mitnehmen sollte. Es wäre sicher schön, es zusammen mit Magenta durchzugehen, die einen sicheren Blick und eine bessere Vorstellung davon hatte, was gerade in war, als Thea.
Als sie den Ordner auf ihre frisch gebügelten Kleider legte, musste sie an Ben denken. Was würde er von dem Video halten?
Sie hatte sich regelrecht in das Video verliebt. Es zeigte einen großen Bestand weißer Weidenröschen, deren Samen bereits zu seidigem Flaum geworden waren. Und immer wieder trug ein Windstoß die Samen hoch empor in die Luft, wo sie umherflogen und auf vielfältige Weise das Licht einfingen und reflektierten. Vielleicht war das Ganze aber auch völlig abwegig.
Molly hatte darüber die Nase gerümpft, dass sie überhaupt ein Video ausstellen wollte. »Wer soll das denn kaufen?«, hatte sie vernünftigerweise eingewandt, nachdem Thea sich eine Kopie besorgt und sie ihr gezeigt hatte.
»Niemand wird es kaufen. Aber der Künstler gewinnt vielleicht mal irgendwo einen Preis oder so was. Es geht ja bei unserer Galerie nicht nur ums Geld verdienen.«
Die beiden jungen Männer waren reizend. Sie bewunderten, was in ihrem Haus noch im Originalzustand war, und rümpften nicht die Nase über die Spuren der Studenten, auf die man allenthalben stieß. Und sie waren ganz vernarrt in Lara und die Welpen. Sie schauten sich nur an, dann sagte einer von ihnen:
»Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber vielleicht ist einer der Kleinen genau das, was wir brauchen, um die Lücke zu füllen, die Lorenzo hinterlassen hat. Lorenzo war unsere Deutsche Dogge.«
Der andere meinte: »Es ist vielleicht etwas früh, um daran zu denken, sich auf ein anderes Tier einzulassen, aber man kann ja nie wissen.«
»Also«, erwiderte Thea, »wenn Sie und die Welpen gut miteinander auskommen und Sie der Meinung sind, einer wäre etwas für Sie ...« Sie ließ den Satz unvollendet. »Es wird nicht einfach sein, ein Zuhause für Mischlinge von dieser Größe zu finden. Den Kleinen werde ich allerdings selbst behalten.«
»Wir hatten vorher noch nie einen Mischling. Wir haben Deutsche Doggen gezüchtet, aber die sterben so jung, dass es einem das Herz bricht.«
Thea warf einen Blick auf die Küchenuhr. »Müssen Sie sonst noch etwas wissen? Die Waschmaschine funktioniert gut, solange keine Münzen hineingeraten. Heißes Wasser ist genug da, und auch der Fernseher funktioniert, obwohl man damit Channel Five nicht empfangen kann.«
»Machen Sie sich um Channel Five keine Gedanken, meine Liebe. Uns ist ohnehin Calvin Klein lieber.«
Es dauerte einen kleinen Moment, dann lachte Thea. »Und Sie haben ja Mollys Telefonnummer, wenn irgendetwas hier schief laufen sollte.«
»Molly? Oh ja, eine reizende Dame. Sie war bei uns und hat uns auf den Zahn gefühlt. Ich glaube allerdings nicht, dass sie Hunde so schätzt wie wir. Aber wirklich sehr elegant.«
Als Thea ging, lagen die beiden in der Küche auf dem Boden und spielten mit den Welpen. Thea war froh, ihre Schutzbefohlenen in guten Händen zu wissen, und fand die Vorstellung köstlich, dass Molly zu einem Schwulenidol avanciert war.
Im Zug schimpfte sie zunächst mit sich selbst, weil sie ihr Handy vergessen hatte, aber dann fieberte sie langsam immer mehr ihrem Aufenthalt in London entgegen. Seit ihrem Wegzug war sie nur sehr selten dort gewesen, und obwohl sie Rory wegen seines Verrats böse war, wusste sie doch, dass sie sich während dieser kritischen Phase ihrer Vorbereitung zur Galerieeröffnung niemals ohne einen wirklich guten Grund die Zeit für eine solche Fahrt genommen hätte. Diese kleine Flucht vor dem Druck, unter dem sie wegen der Galerie, der Welpen und ihrer eigenen verwirrten Gefühle stand, verhalf ihr zu einem kleinen Höhenflug, wie man ihn etwa bei Ferienbeginn zum Ende eines Schuljahres empfand. Das hatte sie lange vermissen müssen. Außerdem konnte sie die Gelegenheit
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