Sommernachtsgeflüster
Sachen werfen. Das wäre nicht fair gewesen.
»Verzeihung? Kenne ich Sie?«, fragte Veronica eisig.
»Das ist Thea, die Frau, die dafür gesorgt hat, dass ich meine Bilder aus dem Schuppen geholt habe«, erklärte Rory. Er schien ihr gegenüber extrem verlegen zu sein und wand sich wie ein Schuljunge, den man bei etwas Verbotenem erwischt hatte.
Thea sah zu Toby hinüber. Er hatte sie erfreut begrüßt, schien jetzt aber ihren Blick zu meiden. Thea hatte mehr und mehr das Gefühl, dass sich irgendein Unheil zusammenbraute.
»Oh!«, murmelte Veronica. »Sie sind also diejenige welche.« Sie kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Ich habe schon so viel von Ihnen gehört.«
Thea nahm ihre Hand, die kühl und fest war, und musterte gleichzeitig deren Besitzerin. Sie war auf herausfordernde Weise dünn und attraktiv, aber nicht hübsch - mit einem durch viel Aufwand aufrechterhaltenen Glanz, der es schwierig machte, ihr Alter einzuschätzen. Sie hatte wahrscheinlich mit achtzehn genauso ausgesehen wie jetzt und würde mit fünfzig immer noch so aussehen.
»Verzeihung«, sagte Thea, »ich weiß nicht, wie Sie heißen.« Selbst wenn ich sehr gut weiß, wer Sie sind.
»Veronica de Claudio. Ich habe Rory entdeckt.« Veronica lächelte. Sie roch stark nach einem edlen Parfüm, und ihre Kleider hätte Thea gar nicht zu tragen gewusst, selbst wenn sie ihr gepasst hätten. Viele Lagen Seide, eine Hose, eine bodenlange Weste und ein bestickter Einsatz über ihrem superflachen Bauch, der erkennen ließ, wie schmal ihre Hüften waren.
»Ach, tatsächlich?« Thea neigte freundlich den Kopf. »Ich dachte, ich hätte ihn entdeckt.«
Veronica kniff vergnügt die Augen zusammen. Sie schenkte Thea ein Lächeln, das für jemanden bestimmt war, dem man schlechte Neuigkeiten überbringt, die einen insgeheim erfreuen. »Oh, ich war Ihnen etwas voraus. Ich habe Rorys Abschlussausstellung gesehen und die anschließende Ausstellung seiner Bilder. In der Cork Street.«
»Ach?« Die Implikationen dieser Enthüllung waren zahlreich, und Thea drehte sich bereits der Magen um, aber jetzt ging es darum zu erfahren, welche Rolle Veronica bei Rorys fataler Ausstellung gespielt hatte.
»Es war umwerfend, absolut umwerfend.«
Rory hatte sich abgewandt und versuchte, Toby in ein Gespräch über eine der Skulpturen zu verwickeln. Ob es ihm peinlich war, dass seine Arbeit als umwerfend bezeichnet wurde, oder ob er sich nicht wohl fühlte angesichts dessen, was nach der Ausstellung geschehen war, wusste Thea nicht zu sagen. Aber Ersteres wäre für Rory eher untypisch gewesen.
»Ich dachte, die Kritiker hätten seine Arbeiten verrissen«, erwiderte Thea.
»Oh, das haben sie auch. Und völlig zu Recht. Rorys Arbeit war viel zu unreif und sein Betragen auf der Ausstellung noch mehr. Ich habe Maxim erklärt ... Sie wissen doch? Maxim Applozzia? Sie müssen von ihm gehört haben - er besitzt drei Galerien in New York und will im nächsten Jahr eine hier in London eröffnen.«
Thea nickte und hoffte, dass ihre Unkenntnis nicht allen anderen so offensichtlich war wie ihr selbst.
»Ich habe Maxim erklärt, er solle alles abhängen und die Ausstellung schließen. Rory war einfach noch nicht weit genug für eine Ausstellung.«
Die Übelkeit, bisher nur eine drohende Möglichkeit, schien jetzt Wirklichkeit zu werden. Sie traute Veronica nicht für fünf Cent, aber einiges an ihrer Story war wahrscheinlich wahr - möglicherweise sogar alles. Aber warum in drei Teufels Namen hatte Ben ihre Rolle bei Rorys Untergang niemals erwähnt? »Ach, tatsächlich?«, gab Thea angespannt zurück. »Ich habe die Geschichte natürlich von Rory gehört, aber er hat Ihre Rolle darin gar nicht erwähnt.«
»Oh, er war sich vermutlich meiner Rolle dabei gar nicht bewusst.« Sie lachte fröhlich. »Der arme Junge war nicht in dem Zustand, überhaupt irgendetwas zu registrieren ...«
»Außer dass seine Ausstellung abgeblasen worden war und die Kritiker ihn vollkommen in Misskredit gebracht hatten.«
Veronica beschloss offenbar, sich ein wenig Zeit für diese Frau zu nehmen, die anscheinend etwas langsam war, der sie aber ein paar Dinge klar machen musste, wenn sie sie jemals loswerden wollte. »Meine liebe Thea? Interessanter Name übrigens. Ich glaube nicht, dass Sie es ganz verstehen. Die Kritiker haben Rory vielleicht die Hölle heiß gemacht, aber das heißt nicht, dass sie seine Bilder nicht bewunderten. Sie fanden sie einfach nur unreif. Ich wusste, dass er in
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