Sommernachtsgeflüster
einkaufen wie alle anderen auch, aber nicht zusammen mit jemandem, der eine Goldkarte und ein unbezähmbares Verlangen nach der fünfzigsten Handtasche hatte. Außerdem fand sie immer noch nicht genug Schlaf, sodass ihr einfach die Energie für eine solche Unternehmung fehlte.
Den Rest der Vorlesung brachte sie damit zu, sich eine Gesprächsstrategie für Molly zurechtzulegen: »Ich werde zurück auf mein Zimmer gehen und ein wenig Proust lesen.« Das würde Molly für gut zehn Sekunden zum Schweigen bringen. Würde diese Zeit ausreichen, um in eine Nebengasse zu entkommen und dort in einem kleinen Café zu verschwinden? Möglicherweise, überlegte sie, aber danach würde sie sich ein Buch von Proust kaufen und Molly ihre plötzliche Leidenschaft für Kultur erklären müssen. Sie konnte natürlich auch einfach zugeben, dass sie müde war, weil sie nicht schlafen konnte, und keinen anderen Wunsch verspürte, als draußen vor einem Café in der Sonne zu sitzen. Was aber unfreundlich gewesen wäre. Außerdem würde Molly wahrscheinlich nicht glauben, dass sie schnarchte. Derek und sie schliefen in getrennten Schlafzimmern, aber Thea war bisher der Eindruck vermittelt worden, der Grund dafür seien Dereks Körperfunktionen und nicht die Mollys.
Als die Vorlesung beendet war, hatte Thea sich immer noch nichts ausgedacht, was Molly zufrieden stellen würde. Molly hatte sie noch nicht ganz erreicht, als sie ihr bereits erklärte: »Wir werden uns den Lunch sparen und später nur einen Kaffee trinken ...«
Es war nicht sofort erkennbar, dass Molly gar nicht mit Thea sprach, sondern mit der Frau hinter ihr, Joan, die, wie Thea wusste, eine ganz nette Person aus der Gegend von London war. Joan stand Molly, was das Alter und das verfügbare Budget anbelangte, näher als ihr und suchte jetzt offensichtlich jemanden, der mit ihr einkaufen ging.
»Bist du bereit, Thea? Ich habe gerade gesagt, dass wir den Lunch ausfallen lassen und später einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen.«
»Ach, eigentlich ... Molly, würde es dir sehr viel ausmachen, wenn ich nicht mitkäme? Ich will ein paar Fotos machen und muss noch Postkarten schreiben.«
Molly ließ das fast ohne Widerspruch durchgehen. »Bist du dir sicher? Nun, das ist gut. Joan und ich werden schon zurechtkommen.«
Thea fühlte sich wie früher beim Schuleschwänzen, als sie Molly nachwinkte, und machte sich dann selbst auf den Weg. Vierundzwanzig Stunden Seite an Seite mit Molly Pickford hatten in ihr eine starke Sehnsucht nach Einsamkeit geweckt.
Sie fand einen bezaubernden place mit einem schönen kleinen Brunnen und einem reizenden Café, vor dessen Tür Tische und Stühle aufgestellt waren. Auf einen davon ließ sie sich fallen und bestellte sich ein Bier und einen Salade Niçoise. Dann nahm sie ihr Buch aus der Tasche.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich spreche kein Wort Französisch, und ich habe einen Durst, der mich ... noch um den Verstand bringt.«
Thea blickte auf; vor ihr stand der gut aussehende, langweilige Dozent. Aus der Nähe betrachtet wirkte er viel weniger langweilig. Sie musste lächeln. »Sie können sich doch bestimmt ein Bier bestellen, oder? Ich spreche auch nicht gut Französisch.«
Er setzte sich auf einen Stuhl an ihrem Tisch. »Das kann ich, und ich könnte vielleicht auch einen Cognac bestellen, aber ich möchte außerdem etwas essen. Und ich weiß, dass man hier, wenn man nicht aufpasst, plötzlich einen Salat mit lauter Innereien vor sich stehen hat. Was ist das denn?« Misstrauisch musterte er Theas Salat, der in diesem Moment serviert wurde. »Sie geben hier Mägen an den Salat, wissen Sie?«
»Anschovis. Das ist ein Salade Niçoise. Bestellen Sie sich einen, er ist köstlich.«
»Pour moi aussi«, sagte er zu dem Kellner und deutete auf Theas Teller und Glas. »S'il vous plaît.«
»Sehen Sie, Sie kommen wunderbar zurecht.« Thea fühlte sich immer wohler. Es gab Schlimmeres im Leben, als mit einem attraktiven Mann in der Sonne zu sitzen, zu essen und zu trinken.
»Das stimmt, aber als ich Sie hier sitzen sah, dachte ich: ›Warum an einer attraktiven Frau vorbeigehen und allein essen, wenn ich sie zumindest vom Sehen kenne und ihr meine Gesellschaft aufdrängen könnte?‹« Er streckte ihr die Hand hin. »Rory Devlin.«
Thea nahm seine Hand und hoffte, dass er ihr Erröten dem Sonnenschein der Provence zuschrieb. »Thea Orville.«
»Was macht denn so eine nette junge Frau wie Sie auf einer Reise von Tiger
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