Sommernachtsgeflüster
dass Sie fragen, aber das kann ich unmöglich tun.«
Er zog ein schon arg mitgenommenes, spiralgebundenes Notizbuch aus der Tasche. »Hier, ich gebe Ihnen meine Adresse, falls Sie doch noch Ihre Meinung ändern.« Er kritzelte etwas auf ein Blatt und riss es heraus. »Man fliegt von Stansted nach Knock. Das ist ein internationaler Flughafen.« Den letzten Satz fügte er mit spöttischem Stolz hinzu. »Ich würde Sie dort abholen. Es ist dann nicht mehr weit.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, doch ich werde meine Meinung nicht ändern.« Sie nahm das Blatt und steckte es in ihre Handtasche. Sie würde es als kleines »Was hätte sein können« aufbewahren, für Zeiten, in denen sie alles gründlich satt hatte.
»Man kann nie wissen. So was soll ja vorkommen.«
Sie lächelte etwas wehmütig. »Ich finde, wir sollten jetzt einen Kaffee bestellen.«
»Mit einem Cognac?«
»Auf keinen Fall.«
Er bestellte Kaffee, und sie schloss die Augen und ließ sich vom heißen provenzalischen Sonnenschein das Gesicht wärmen und die unangenehmen Gedanken vertreiben - Gedanken an ihre Studenten, an ihren langweiligen Job und das Ende des Winters, der in England noch Wochen brauchen konnte, bis er sich zu einem anständigen Frühling mauserte.
»Ach, du bist das!« Mollys vor Überraschung schrille Stimme holte Thea in die Wirklichkeit zurück. Sie öffnete die Augen. Molly versuchte gerade hektisch, ihren Arm von Geralds zu lösen, aber das erwies sich wegen der großen Einkaufstasche, die sie trug, als schwierig. Ihr Gesichtsausdruck war merkwürdig; bei jedem anderen hätte er auf ein schlechtes Gewissen hingedeutet. Von Joan war weit und breit nichts zu sehen.
»Hallo«, sagte Thea, »kommt und leistet uns Gesellschaft. Hast du dir was Schönes gekauft, Molly? Und wo ist Joan abgeblieben?« Die Situation war ihr selbst überaus peinlich. Mit einem fremden Mann zu schlafen war immer falsch, selbst wenn man es vor aller Augen tat.
»Wir haben uns gerade Kaffee bestellt«, bemerkte Rory. »Soll ich für euch auch einen kommen lassen?«
Molly warf Gerald einen Blick zu und musterte dann Thea und Rory mit zusammengekniffenen Lippen. Offensichtlich fragte sie sich, ob Theas Sünde größer war als ihre eigene. »Joan war müde und ist auf ein Nickerchen ins Hotel zurückgekehrt. Wir sind auch schon wieder dort gewesen - um zu fragen, ob du mit uns in eine Konditorei gehst«, fügte sie schnell hinzu, falls Thea auf den Gedanken käme, sie sei aus anderen Gründen zum Hotel zurückgekehrt. »Und du warst nicht da. Ich dachte, du wolltest Ansichtskarten schreiben?«
Angesichts Mollys merkwürdigen Verhaltens fragte Thea sich, ob Gerald und sie vielleicht tatsächlich irgendetwas angestellt hatten; bisher hatte sie diesen Flirt immer für völlig harmlos gehalten. »Nein, ich habe ein paar Fotos gemacht, und dann war mir nach etwas Essbarem zu Mute.«
Thea wusste genau, dass Molly am liebsten gefragt hätte, ob sie ihr Treffen mit Rory arrangiert hatte oder ob sie sich zufällig begegnet waren. Molly musterte sie beide eingehend und sah dann wieder Gerald an.
Rory hatte schließlich Erbarmen. »Und ich hatte das Glück, Thea hier sitzen zu sehen, und habe sie überredet, auch für mich etwas zu essen zu bestellen. Meine Französischkenntnisse sind gleich null, nicht wahr, Gerald?«
»Tiger Tours hat Sie nicht wegen Ihrer Sprachkenntnisse engagiert«, sagte Gerald und zog für Molly einen Stuhl heran. »Das spielt doch wirklich keine Rolle, hm?« Er lachte herzlich.
Molly war vielleicht eine von einer ganzen Anzahl gut aussehender Damen mittleren Alters, mit denen er auf diesen Reisen anbandelte. So unerträglich ihre Freundin zweifellos war, Thea gefiel der Gedanke nicht, dass sie benutzt wurde.
Gerald setzte sich ebenfalls und hob eine Hand. »Garçon!«
»Für mich einen Cognac«, sagte Rory schnell, »und für Thea ebenfalls.«
Thea war sich sicher, dass Gerald nicht beabsichtigt hatte, für sie ebenfalls etwas zu trinken zu bestellen, aber da der Kellner es sich bereits notiert hatte, bevor Gerald seinen Blick hoffnungsvoll Molly zuwenden konnte, war nichts mehr daran zu ändern.
»Für mich bitte einen Tee mit Zitrone, Gerald«, bat Molly, »wenn Sie so freundlich wären.«
»Natürlich.« Er wandte sich an den Kellner und bestellte auf Französisch. Seine Ansprache dauerte so lange, als hätte er für sie alle ein komplettes Menü bestellt; Thea vermutete, dass das nicht unbedingt nötig gewesen wäre,
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