Sommernachtsgeflüster
Depression litt. Um nicht als Verrückte abgestempelt zu werden, beschloss sie allerdings vorsichtshalber, ihre Beobachtung für sich zu behalten.
»Komm schon, Lara, schau mal, was ich für dich habe.«
Ben hielt Lara den Schinken vor die Nase, und sie richtete sich auf, um die Scheibe zu beschnuppern. Ben lockte sie damit durch die Eingangstür und gab ihr den Schinken erst draußen. Schnell schloss Thea die Tür, denn Lara machte schon Anstalten zurückzutrotten.
Durch das Fenster sah sie, wie die Hündin sich hinhockte und dann noch einmal kurz die Nase in den Wind hielt, bevor sie wieder auf die Tür zugeschossen kam und Einlass begehrte.
»Ihr Futter ist in dem Sack da drüben«, erklärte Susan.
Ben inspizierte den Sack mit derselben missbilligenden Miene, wie Eltern sie aufsetzen, wenn sie die Schachteln mit im Fernsehen beworbenem Kinderfrühstück begutachten, denen zur Freude der Kleinen nutzloses Spielzeug beigefügt ist. »Sie wird wohl etwas mit mehr Eiweiß brauchen, wenn sie jetzt Welpen säugt.«
»Sie werden alle etwas mit mehr Eiweiß brauchen, wenn Sie etwas frühstücken wollen«, gab Susan zurück, die eine praktischere Einstellung zu Tieren hatte als Thea und Ben.
»Ist sonst noch jemand auf?«, wollte Ben wissen, nachdem er Lara etwas zu fressen gegeben hatte.
»Nein, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich daran allzu bald etwas ändern wird.« Thea hatte ihr Ohr ans Schlüsselloch gelegt und Mollys vertrautes Schnarchen gehört, von Petal dagegen keinen Laut.
»Wir haben zwei Eier, anderthalb Tomaten und ein halbes Brot«, fuhr Susan ungerührt fort, entschlossen, Thea nicht aus der Pflicht zu lassen.
Thea wäre am liebsten in ihre Wanne zurückgekrochen. »Ich denke eigentlich nicht, dass Molly ein warmes Frühstück möchte«, meinte sie.
»Rory bestimmt«, entgegnete Susan.
Ben wandte sich an Thea. »Kommen Sie mit Rorys Landrover zurecht?«
»Ich denke schon.« Aber sie war nicht sehr erpicht darauf. Wenn es um Leben und Tod gegangen wäre, hätte sie nicht gezögert - aber wegen Eiern und Cornflakes? Ach, und natürlich frisch gepresstem Orangensaft für Petal.
»Gut«, entschied Ben, nachdem er ihren Mangel an Begeisterung konstatiert hatte. »Dann gehen wir zu Fuß zum Pub und holen dort Mollys Wagen ab. Dann können Sie mitkommen und mir zeigen, wo die Geschäfte sind.«
Die Aussicht, ihre noch schlafenden ungebetenen Gäste sich selbst zu überlassen, erfüllte Thea mit einer geradezu unvernünftigen Freude. Anscheinend gewöhnte sie sich langsam das Weglaufen an. »Susan, sagen Sie doch einfach jedem, der auftaucht, dass wir unterwegs sind, um fürs Frühstück einzukaufen«, rief sie fröhlich.
»Sie kaufen besser gleich fürs Mittagessen ein, wenn Sie schon mal dabei sind«, riet Susan. »Es geht bereits auf ein Uhr zu.«
Thea spürte die Luft feucht und kühl auf ihren Wangen. Es war erfrischend und belebend. Draußen zu sein, im Licht und an der Luft, war wunderbar. Die Sonne, eine weiße Scheibe hinter den Wolken, spiegelte sich im Wasser silbern wider. Fast wie Mondlicht, aber viel heller. Die Inseln ragten aus dem Meer wie gutartige Seeungeheuer, denen die Sonne auf den Rücken schien.
Sie genoss den Blick noch ein paar Sekunden, während Ben die Autoschlüssel hervorholte und dann Toby auf dem Rücksitz unterbrachte. »Es ist ein wunderbares Fleckchen«, bemerkte sie glücklich, während Ben den Fahrersitz wegen seiner langen Beine nach hinten schob.
»Ja.«
»Das muss einen Künstler doch inspirieren, meinen Sie nicht?«
Ben zuckte die Schultern. »Ich muss erst die Arbeiten des Künstlers sehen, bis ich etwas zur Quelle seiner Inspiration sagen kann.«
Thea hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht und mit den Augen gerollt. Aber vielleicht war Ben ein Morgenmuffel.
Toby saß schweigend auf der Rückbank. Thea hatte zwar keine Erfahrung mit Kindern, doch er kam ihr für sein Alter sehr still und nachdenklich vor. Sie blickte sich zu ihm um, nur um festzustellen, dass er ganz zufrieden zu sein schien und aus dem Fenster blickte.
Toby war nicht der Einzige, der während der Fahrt in das Städtchen schweigsam war. Thea wollte diese kurze Zeit des Friedens genießen, denn sie wusste, dass es damit vorbei sein würde, wenn sie erst wieder zurück waren. Und Ben war wahrscheinlich müde. Er musste wohl auch etwas angespannt sein, da sich die ganze Fahrt für ihn noch als nutzlos erweisen konnte. Er hatte all seine Urlaubspläne dafür
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