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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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sage ich und halte meine Hand still.
    An der Kreuzung vor dem Modehaus Radler schaltet die Ampel auf Rot und Leonie bremst ruckartig.
    »Sieh dir diesen Niederreiter an! So ein Proll!« Leonie schüttelt angewidert den Kopf.
    Neben uns an der Ampel hält ein offener roter Sportwagen. Der Fahrer zwinkert zu uns herüber. Ich kenne ihn – so wie jeder hier. Franz Niederreiter. Landwirt, Anfang dreißig, Bauer und Besitzer der Wiese unten am See am Bootshaus – und ortsbekannter Kampfhahn. Im Winter ist er Klischee-Skilehrer und im Sommer arbeitet er mit nacktem Oberkörper auf seinem Bauernhof. Das ganze Jahr über ist er braun wie ein knuspriges Grillhähnchen. Seine blonden Haare trägt er zum Pferdeschwanz zusammengebunden und an seinem Handgelenk prangen mindestens zehn Freundschaftsbändchen.
    Die Polizei hat ihn nach dem Tod von Maurice auch befragt. Er hatte die Stromkabel für die Lautsprecher und die Beleuchtung von seinem Haus aus gelegt und jemand hatte behauptet, er habe ihn auch auf der Party gesehen. Allerdings hat seine Freundin ausgesagt, er sei ab zehn bei ihr in Prien gewesen.
    »Blöder Angeber!«, schimpft Leonie, während Franz Niederreiter immer wieder aufs Gas drückt, um dann bei Grün sofort lospreschen zu können.
    Früher habe ich ihn auch verachtet, genauso wie Leonie, Maya und Vivian, die gerne über sein Machogehabe herziehen. Aber jetzt, in diesem Moment, sehe ich ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Wir sind verwandt. Seelenverwandt. Wir sind beide Außenseiter.
    Franz Niederreiter hat seinen besten Freund erschlagen. Im Suff. Da waren beide siebzehn. Jähzornig sei er, heißt es. Mehrere Jahre hat er im Gefängnis gesessen.
    Als es endlich grün wird und er davonprescht, fühle ich mich schließlich doch erleichtert.
    »Mist, ich muss unbedingt noch tanken. Blöd, eigentlich darf ich ja gar nicht fahren, aber wird schon gut gehen«, sagt Leonie auf einmal.
    Tanken, auch das noch.

7
    Noch immer ragt das grün-gelbe Tankstellenschild hoch über der Straße auf und unser ehemaliges Haus dahinter ist noch genauso grau und hässlich wie vor einem Jahr. Selbst jetzt bei Sonnenschein.
    Seltsam, als Leonie an die Zapfsäule fährt, erwarte ich fast, dass mein Dad in seinem blauen, ölverschmierten Overall aus der Werkstatt kommt, die Hände an einem Lumpen abreibt und uns auf seine tapfere Art zulächelt. Was für ein Blödsinn.
    Leonie tankt, geht zum Bezahlen nach drinnen, und als sie wieder einsteigt, wirft sie triumphierend ihr Haar über die Schulter und lächelt auf typische Weise. »Dieser Florian ist ein echtes Sahneschnittchen.«
    »He, und wie hast du meinen Vater genannt?«, versuche ich es mal auf die lustige Art.
    Sie lächelt, dann wird sie ganz plötzlich ernst. »Ziska, es…« Sie holt tief Luft. »Ich wollte dir es schon so oft sagen… dass es mir leidtut… wie ich dich am Anfang behandelt habe. Ich war ziemlich gemein.«
    »Stimmt!« Ich nicke und bin ein bisschen gerührt. Ich versuche, die unangenehmen Erinnerungen, die sofort wieder in mir aufsteigen, wegzuschieben.
    »Eine richtig gemeine Kuh war ich! Kannst du mir das…«, sie schluckt und ihre Augen glänzen, »kannst du mir das verzeihen?«
    Ich umarme sie. »Ja«, bringe ich hervor.
    Ihr Handy klingelt und wir lassen uns los.
    »Maya, was gibt’s?« Sie zieht kurz die Nase hoch. »Ja – wir sind unterwegs – ja – nein, kein Problem – okay – bis dann.«
    »Kann sie nicht?«, will ich wissen. Hoffe in dem Moment sogar, dass es so ist. Ich weiß nicht, wie ich all diese Emotionen aushalten soll! Ich will nicht die ganze Zeit heulen!
    »Doch, aber wir treffen uns bei ihr, nicht bei Vivian. Mayas Mutter musste nach München und Maya soll das Haus hüten. Die Haushälterin hat ihren freien Nachmittag.«
    Ich sehe es vor meinem geistigen Auge, das Anwesen der von Klingbergs: das große restaurierte Bauernhaus mit den grünen Holzläden, die ausgedehnten Wiesen, auf denen die beiden Pferde grasen, die großzügige Terrasse mit Blick auf die Berge und den See.
    »Ist was?«, fragt Leonie mit einem Seitenblick, gerade als sie in den Kiesweg der Einfahrt einbiegt.
    »Ich hab nie wirklich zu euch gehört«, sage ich. »Ich hab es nur nicht einsehen wollen.« Und dann füge ich noch hinzu: »Stimmt’s?«
    Leonie zögert und für einen Moment scheint es, als wolle sie antworten, dann aber sagt sie doch nichts, sondern parkt den Wagen vor dem rot blühenden Oleanderbusch und dem Porzellanmops. Erst als sie den

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