Sommernachtsschrei
Schlüssel abzieht, sagt sie: »Weißt du Ziska, du solltest endlich mal damit aufhören, dir ständig leidzutun.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, steigt sie aus und wirft die Tür zu.
Sie hat recht. Ich tue mir leid. Nachdenklich steige ich auch aus.
»Ziska! Endlich!« Maya kommt mir mit offenen Armen entgegen. Ihr wallendes blondes Haar fällt ihr perfekt glänzend über die Schultern, und als sie mich an sich drückt, kann ich das teure Shampoo riechen.
»Mein Gott, Ziska, wir hatten solche Angst um dich!« Maya legt den Arm um mich und schiebt mich über die Außentreppe zur Terrasse.
Dort sitzt Vivian im Schatten der uralten Kastanie auf dem Holzgeländer der Terrassenumzäunung, hält einen Kaffeebecher in der Hand und gähnt. Ihr kupferrotes Haar ist noch genauso zerrupft wie früher. Und das Augenbrauenpiercing hat sie auch noch.
Als sie mich sieht, rutscht sie herunter und streckt mir die freie Hand entgegen. »Na, Knacki! Wo hast du deine Eisenkugel gelassen?«
Sie lacht und ich will erst aufbrausen, doch dann merke ich an der Art ihres Lachens, dass sie selbst gemerkt hat, dass der Spruch ziemlich uncool war.
»Vivian!«, sagt da auch schon Leonie, »über so was sollte man keine Witze machen. Es ist nicht gerade lustig im Gefängnis!«
»Tut mir echt leid!«, sagt Vivian sofort. »War ein blöder Witz.«
Dann drückt sie Leonie ihre Kaffeetasse in die Hand und umarmt mich.
Maya kommt, stellt ein Tablett auf den Holztisch, der unter den Blattfächern einer großen Topfpalme steht, und sagt: »Ach, Ziska, es ist so gut, dich wieder hierzuhaben! Du hast uns so gefehlt!«
In ihren Augen stehen Tränen und ich schlucke gegen einen Kloß in meinem Hals an. »Ich hab euch auch vermisst«, bringe ich hervor und setze mich an den Tisch neben Leonie. Statt eines Sonnenschirms schwebt ein Palmblatt aus Holz über uns, gehalten von einem »Sarotti-Mohr«. Ein typisches Werk von Mayas Mutter.
Eine Weile sitzen wir einfach so da, ohne etwas zu sagen. Ich finde die Stimmung irgendwie beklemmend.
Dann fängt Maya an: »Es tut uns so leid, was du durchmachen musstest.«
Vivian sieht vom Tischtuch hoch und nickt. »Da ist man doch völlig ausgeliefert, oder?«
»Ja«, sage ich und es tut mir gut, dass sie mich verstehen.
Vivian holt tief Luft. »Wir haben versucht, dich irgendwie zu entlasten, du weißt schon, wegen Alibi und so. Aber dieser bescheuerte Ritter hat ja gleich gesagt, dass du es zugegeben hast.«
Stimmt. Olaf Ritter, letztes Jahr noch Referendar am Augustinus-Gymnasium, hat mich gefunden. Wie ich mich über den toten Maurice gebeugt und entsetzt gesagt habe: »Ich hab ihn umgebracht.«
»Du weißt, dass wir Freundinnen sind und alles füreinander tun«, sagt Maya nun. »Aber ehrlich gesagt hatten wir Schiss, bei der Polizei zu lügen…« Sie wirft ihr engelartiges Haar zurück, fasst es im Nacken zusammen und lässt es wieder los.
Diese Geste ist so typisch für sie, genauso hatte sie es auch schon letztes Jahr immer gemacht, denke ich und beginne, mich ein bisschen heimisch zu fühlen.
»… das wäre doch ziemlich krass gewesen«, sagt sie schließlich und schaut zu Vivian und Leonie, die nicken.
»Ist schon klar«, sage ich. Sie hatten ausgesagt, dass wir alle betrunken gewesen waren und auch ein paar Pillen genommen hatten. Für die Polizei passte das prima in das Bild, das sie sich von mir gemacht hatten. Na klar, die ist ja schon mal wegen Alkohol aufgefallen. Hat ihren Vater bestohlen und andere in Gefahr gebracht. Ich hatte ja nie erzählt, wie es wirklich gewesen war. Die Mutprobe…
Jetzt kommt der Kloß wieder hoch, den ich so oft schon runtergeschluckt habe. »Und warum habt ihr der Polizei nicht wenigstens gesagt, wie das damals mit dem Auto und dem Whisky wirklich war? Dann hätten sie mich vielleicht nicht so schnell abgestempelt!«
Sie starren mich an.
Leonie schluckt. »Wir hatten so entsetzliche Angst«, bringt sie leise hervor.
»Ja, Leonie hat recht«, sagt Vivian mit festerer Stimme. »Wir waren… wir waren einfach… einfach feige.«
Maya und Leonie nicken. »Ja. Vivian hat definitiv recht. Wir waren feige.«
»Ziska«, fährt Vivian fort, »wir wollen uns bei dir entschuldigen.«
»Ja, wir entschuldigen uns!«, sagt Leonie leise und Maya murmelt kleinlaut: »Bitte, entschuldige.«
»Und wir wollen dir damit sagen, dass du noch immer unsere Freundin bist!«, sagt Vivian aufmunternd.
»Vorausgesetzt«, wirft Maya ein, »du willst uns noch als
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