Sommernachtsschrei
auch Instrumentalstücke spielen, bis wir eine andere Sängerin gefunden haben.«
»Eine, die besser zu uns passt«, fügte Maya hinzu, worauf die anderen beiden nickten und Leonie ihr Portemonnaie aus der Tasche kramte.
»Halt, wartet!«, sagte ich.
»Ja?«, sagte Vivian gedehnt.
»Also mal angenommen, ich mache es.«
»Ja?«
»Dann gehen wir an den See und trinken das Zeug, oder was?«, fragte ich.
Wieder grinsten sie.
»Du fährst uns hin«, erklärte Maya und in ihrer Stimme schwang Triumph mit, als hätte sie gerade verkündet, dass ich die glückliche Gewinnerin des Hauptpreises bin.
»Aber auf mein Fahrrad passt nur…«
»Doch nicht mit deinem Fahrrad, Honey!« Maya lachte und die anderen stimmten ein.
Ich kam mir schrecklich blöd vor und ich war ganz nah dran, einfach aufzustehen und zu gehen. Warum musste ich ausgerechnet zu ihnen gehören wollen? Zu ihnen, deren Eltern viel mehr Geld hatten als meine, die Klamotten trugen, die ich mir nicht leisten konnte, die zum Achtzehnten ein nagelneues Auto bekämen und ohne Stipendium würden studieren können.
Leonies Hand lag plötzlich auf meiner. »Eine Sängerin, die in unserer Band singt, sollte cool sein, Ziska. Du sollst doch nur ein paar Flaschen organisieren und dann steigen wir in den Wagen deines Dads und du fährst uns zum See.« Sie lächelte. »Ganz easy.«
Vivian beugte sich vor und sagte ebenfalls lächelnd: »Dann fährst du uns zurück und legst dich wieder in dein Bettchen. Dein Daddy wird überhaupt nichts merken. Du kannst doch ein bisschen fahren, oder?«
Klar konnte ich fahren. Meine Mutter hatte schon ein paarmal mit mir auf einem abgelegenen Parkplatz eines geschlossenen Supermarkts geübt. Die einfachen, aber grundlegenden Dinge konnte ich, so was wie Anfahren, ohne den Motor abzuwürgen, und Kurvenfahren. Rückwärts klappte es noch nicht so und Einparken gehörte auch nicht zu meinen Stärken. Aber sie konnten doch nicht ernsthaft von mir verlangen, dass ich fünf Kilometer über die Landstraße zum See fuhr! »Und wenn uns die Polizei erwischt?«
»Nachts, um halb zwei?« Leonie schüttelte den Kopf. »Auf der Strecke ist niemand unterwegs. Da gibt’s doch keine Kneipe weit und breit.«
Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit gestohlenem Whisky und den dreien im Auto meines Vaters durch die Nacht zu stottern. »Könnt ihr euch nicht was anderes ausdenken?«, stöhnte ich, als mir bei dem Gedanken ganz schlecht wurde.
»Nee«, sagte Vivian knapp und warf einen Blick auf ihre Rolex. »Entweder machst du’s oder du lässt es bleiben. Ich muss jetzt übrigens los.« Sie stand auf.
»Halt, warte! Ich mach’s!«, schoss es aus mir heraus, bevor ich darüber nachdenken konnte.
Sie nickte beiläufig, als wäre es ihr gar nicht mehr wichtig. »Heute Nacht um halb zwei. Wir warten gegenüber der Tankstelle auf dich.«
Ich schluckte. »Okay.« Ich sah ihnen mit einem mulmigen Gefühl im Magen hinterher, wie sie kichernd zum Ausgang gingen.
Der Abend dehnte sich endlos. Ständig sah ich auf mein Handy und dachte, die Uhr sei kaputt, weil die Minuten so langsam vergingen.
Wir aßen nie zusammen, weil immer entweder mein Vater oder meine Mutter in der Tankstelle sein musste. Angestellte hatten wir nicht. An diesem Abend aß ich mit meiner Mutter, das heißt, ich stocherte in meinen Spaghetti herum und dachte dabei über Auswege aus dieser blöden Mutprobe nach. Sollte ich Krankheit vorschützen? Einen Unfall vielleicht oder eine Familienangelegenheit? Mein Vater musste mit einem Herzanfall ins Krankenhaus? Meine Oma in Hanau ist plötzlich gestorben und ich musste meine Eltern trösten und… aber das alles war lächerlich, keine der drei würde mir das glauben.
»Sind dir meine Spaghetti jetzt auch nicht mehr gut genug?«, kam es auf einmal von meiner Mutter.
»So ein Quatsch!«, brauste ich auf. Wir hatten die letzten Tage nur das Nötigste miteinander gesprochen. Sie versuchte die ganze Zeit, so zu tun, als ob es diesen Bratkartoffel-Frikadellen-Zusammenstoß nie gegeben hätte, doch es gelang ihr nicht. Sie war mir gegenüber unsicher und trug seitdem nur noch ihre besseren T-Shirts. Doch jetzt konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.
»Na, so abwegig ist das ja nicht. Warum isst du dann nichts?«
»Mir ist nicht gut.«
Sofort sah sie mich mit diesem besorgten Mutter-Blick an. »Bist du krank?«
Ja!, hätte ich am liebsten gesagt und mich gleich ins Bett gelegt, um morgen nicht zur Schule gehen zu müssen. Aber ich
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