Sommernachtsschrei
erleichtert. Die Polizei käme bestimmt kaum auf die Idee, in den Wald reinzufahren. Ruckelnd lenkte ich das Auto über den holprigen Weg.
»Stopp!«, rief Leonie so plötzlich, dass ich erschrak und auf die Bremse stieg. Der Motor erstarb. Die Scheinwerfer beleuchteten stumm den fleckigen Stamm einer Weide, deren Ast wie ein Putzlumpen auf der Windschutzscheibe hing. Mist, ich müsste rückwärts fahren, um wieder auf den geteerten Parkplatz zu kommen. Wie ging dieser verfluchte Rückwärtsgang noch mal rein?
»Na, was haben wir denn da?« Maya hatte meinen Rucksack aufgemacht und holte eine Flasche nach der anderen heraus. »Whisky, Tequila…«
»Ich will den Tequila!«, rief Vivian und streckte ihren dünnen Arm an meiner Schulter vorbei nach vorn.
»Moment!« Maya zog die Flasche zurück. »Erst unsere Fahrerin!«
Das musste ja so kommen!
Sie schraubte die J&B-Flasche auf. »Für dich.«
Ich zögerte, fragte: »Und dann bin ich bei euch dabei, ja?«
»Ja«, antwortete Maya und streckte mir die Flasche entgegen.
Und was war jetzt mit meinem Plan, das Zeug in den Mund zu nehmen und dann unbemerkt auszuspucken? Wie sollte das im Auto gehen? Ich durfte gar nicht daran denken, wie es dann dadrin riechen würde.
»Warum gehen wir nicht raus an den See?« Schon tastete meine Hand nach dem Türgriff.
»Ist viel zu kalt«, meinte Leonie.
»Jetzt mach schon!« Maya stieß mir ungeduldig die Flasche vors Gesicht.
Mir blieb nichts anderes übrig. Ich trank. Einen Schluck und dann einen weiteren. »Bäh! Wie das brennt!«
Die anderen lachten. »Stell dich nicht so an!«, meinte Vivian von hinten und schraubte die Tequilaflasche auf.
»Los, mehr!«, forderte mich Maja auf.
Es war sowieso schon alles egal. Das Auto würde nachher stinken wie eine Ausnüchterungszelle mit vier Alkoholleichen, Erde vom Feldweg würde an den Reifen und an der Karosserie kleben und die Lücken im Regal würden meinen Eltern garantiert sofort ins Auge springen. Wie hatte ich mir nur vormachen können, dass das Ganze funktionierte, ohne dass irgendjemand zu Hause was bemerkte?
Schließlich machte ich doch die Tür auf, weil mir kotzübel war. Auch die anderen lagen bald im Gras. Irgendwann sagte jemand, es sei vier, wir müssten heimfahren, bevor es hell würde.
»Fahren? Ihr spinnt wohl!« Ich konnte ja kaum im nüchternen Zustand fahren. Und jetzt drehte sich alles wie ein Karussell in meinem Kopf. Meine Arme hingen an meinem Körper, aber sie fühlten sich nicht so an, als gehörten sie zu ihm. Wie sollte ich da lenken, schalten, ja… rückwärts fahren?
»Du willst doch wohl nicht hier übernachten, Ziska?«, fragte Leonie und ihr Gesicht schwebte ganz verschwommen über mir.
»Doch, ich glaube, das ist das Beste«, erwiderte ich. Mir war wirklich alles egal. Ich wollte nur noch in einen traumlosen, tiefen Schlaf fallen und dann aufwachen und alles wäre wie früher.
»Kommt überhaupt nicht infrage!«, schrie jemand und ein Rütteln ging durch meinen Körper. »Du fährst jetzt!«
»Ich kann nicht«, antwortete ich völlig erledigt.
Dann passierte etwas, an das ich mich später nicht mehr erinnern konnte. Jedenfalls hielt ich im nächsten Moment irgendwie plötzlich das Steuer in der Hand und der Motor heulte auf.
»He, langsam!«
Wir fuhren rückwärts. Irgendjemand hatte den Rückwärtsgang eingelegt.
»Pass auf, der Baum da!«, schrie Maya. Oder Vivian.
Wo war die Scheißbremse? Mein Fuß trat irgendwo da unten im Fußraum herum. Ich erwischte das falsche Pedal und der Baum schoss auf uns zu, es krachte, dann war alles dunkel und still.
Etwas kitzelte. Und etwas fiepte. Ich machte die Augen auf. Ein Sonnenstrahl fiel mir ins Gesicht, stach mit all seiner gleißenden Helligkeit in meine Augen, sodass ich sie schnell wieder schloss. Außerdem hatte ich genug gesehen. Mein Kopf dröhnte. Dann kehrte die Erinnerung zurück. Der Baum. Der Aufprall. Ich war auf dem Feldweg rückwärts gefahren und an den Baum geknallt. Das Fiepen waren Vogelstimmen. Scheiße, ich war tatsächlich noch im Wald!
Ich stemmte mich gegen die Tür und ließ mich ins Gras fallen. Wo waren die anderen? Lagen sie hier irgendwo herum? Drei Alkoholleichen? Ich hievte mich am Auto hoch. Blinzelnd ließ ich meinen Blick umherschweifen, das helle Licht stach wie Nadeln in meine Augen. Nein, da war niemand. Weit und breit keine Menschenseele. Ich war hier ganz alleine. Sie waren einfach abgehauen!
In mir stieg eine unbändige Wut auf und zornig
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