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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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nach Mittag. Um genau zu sein, es ist halb drei.« Leonie grinst. »Na ja, und ich dachte, dass ich mich besser um dich kümmre, als zur Schule zu gehen.«
    Sie sitzt neben mir und ich liege in ihrem Zimmer auf ihrem Bett. Na toll, denke ich. Und dann zieht der gestrige Tag an mir vorbei, wie ich in Prien ankomme, Leonie mich abholt, wir in Kinding Eis essen und zu ihr nach Hause fahren, wie Nadia auf meinem Bett sitzt und wir zu Maya fahren. Nein, vorher findet Leonie noch den Brief in der Post.
    »Kein Wunder, dass du nichts mehr verträgst«, sagt Leonie, »im Gefängnis und in dieser Klinik habt ihr sicher nur Pfefferminztee gekriegt. In großen Blechkannen, stimmt’s?« Ich höre das Lächeln in ihrer Stimme.
    Stimmt, hätte ich sagen können, stattdessen frage ich aber: »Was ist passiert?«, und setze mich auf, woraufhin mir sofort wieder schwindlig wird. Mein Gehirn schwappt in meinem Schädel. »Was ist mit mir passiert?« Die Panik wächst. Nicht noch einmal ein schwarzes Loch… »Leonie!«, ich greife nach ihrer Hand, »bitte, sag, was hab ich gemacht?«
    »Jetzt mal ganz langsam!« Beruhigend streichelt sie über meine Finger. »Du bist bei Maya auf der Terrasse einfach zusammengeklappt, hast den Kopf auf den Tisch gelegt und bist eingeschlafen. Keine Chance, wir haben dich nicht mehr wach gekriegt. Wir haben ein Taxi gerufen und ich bin mit dir nach Hause gefahren. Also, alles gar nicht so schlimm.« Sie lächelt aufmunternd und drückt meine Hand.
    Ich finde es schlimm.
    Wieso hab ich so viel getrunken? Worüber haben wir eigentlich geredet?
    Da fällt es mir wieder ein. »Leonie?«
    »Ja?«
    »Sag mal… meinst du, es könnte möglich sein, dass… dass…«
    Das, was ich denke, ist so ungeheuerlich, dass ich mich davor fürchte.
    »Dass was?«, fragt Leonie mit einem misstrauischen Blick.
    Ich räuspere mich, um ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen.
    »Sag schon!« Leonie wird ungeduldig.
    Ich hole Luft und dann spreche ich es aus: »Dass in den Minuten, an die ich mich nicht erinnern kann, Claude gekommen ist…«
    Stille. »Du meinst, Claude hat Maurice erschlagen?« Die letzten Worte hat sie fast geschrien und jetzt ist es umso stiller. »Verdammt, Ziska, er hatte ein Alibi. Das hat Vivian doch gesagt! Also schlag’s dir aus dem Kopf.«
    Ja, wie komme ich nur darauf? Ein Hoffnungsschimmer vielleicht, an den ich mich gerne klammern würde? Die verzweifelt gesuchte Erklärung für eine Tat, die zu begehen ich mir niemals hätte vorstellen können? Als sollte ich für solche Gedanken bestraft werden, werden meine Kopfschmerzen schlimmer.
    »Es ist nur so eine Idee…« Und dann muss ich es ihr erzählen.
    Dass die letzte Erinnerung vor meinem Blackout ein Blitz gewesen ist. Eine Art Reflex, ein Schimmer…
    »Und was, bitte schön, sollte das gewesen sein?«, fragt Leonie skeptisch.
    »Keine Ahnung, Leonie, was glaubst du, wie oft ich schon darüber nachgedacht habe…«
    »Hm.«
    Auf einmal weiß ich, was ich tun muss. »Leonie, wir müssen zum Bootshaus.«
    »Jetzt?«
    Schwungvoll stelle ich die Füße auf den Boden, die stechenden Kopfschmerzen lassen mich zusammenzucken. »Ja, jetzt gleich! Vielleicht kann ich mich an noch mehr erinnern.«
    Leonie sieht mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Unglaube an. »Bist du sicher, in deinem Zustand? Meine Mutter ist sehr pingelig… mit dem Auto.«
    Ich nicke entschlossen.
    Leonie bringt mir noch ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette. Die Laugenstange, die sie mir hinhält, schiebe ich angewidert zur Seite. Ich nehme vorsichtshalber die Plastiktüte mit, in der meine Schuhe waren.
    Leonies Hand mit dem Schlüssel hält wenige Zentimeter vor dem Zündschloss in der Luft inne. Sie dreht sich zu mir und schaut mich an. In ihrem Blick liegt Besorgnis. »Willst du dir das Bootshaus wirklich antun? Wie oft warst du schon mit der Polizei dort?«
    Oft war ich dort. Und jedes Mal hatte ich gehofft, dass die fehlenden Erinnerungen zurückkehren würden. Trotzig sehe ich sie an.
    »Du lässt dich nicht abbringen, was?«, sagt Leonie, als ich nicht antworte. »Aber dir ist schon klar, was passieren kann?«
    »Was?«
    »Na ja, stell dir vor, du erinnerst dich plötzlich wieder. Du siehst dich, wie du es getan hast. Glaubst du, dass du damit besser leben kannst? Jede Nacht wirst du aufwachen und dich mit dem Ruder in der Hand sehen, wie du…«
    »Hör auf, Leonie! Das sehe ich auch jetzt schon jede Nacht. Aber es ist anders. Es ist, wie wenn du dich immer

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