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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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meinem Leben.
    »Sag mal«, fing er an, »kann es sein, dass Leonie nicht will, dass du dich mit mir triffst?«
    Ich verschluckte mich beinahe. Daran wollte ich überhaupt nicht erinnert werden. Vor allem nicht in diesem Moment, in dem sich alles so gut anfühlte. »Na ja, sie ist ein bisschen eifersüchtig, glaub ich«, sagte ich. Ich wollte sie ja nicht bloßstellen.
    Er nickte. »Wir hatten mal kurz was miteinander«, sagte er. »Aber nur sehr kurz, zwei Wochen, um genau zu sein.«
    Ich nickte wieder und biss in mein Sandwich, um nichts sagen zu müssen.
    »Ich hab mit ihr Schluss gemacht, aber sie behauptet, ich würde ihr hinterherlaufen.«
    »Warum sagst du ihr das nicht?«
    Er stöhnte. »Wie lange kennst du sie?«
    »Seitdem ich in der Band mitspiele.« Ich rechnete zurück. Ich hatte mitten im Schuljahr die Schule gewechselt. »Seit vier Monaten.«
    »Hm. Und wie findest du sie?«
    Ich zögerte. Warum fragte er mich das? »Wieso reden wir eigentlich über Leonie?«, fragte ich.
    Er holte Luft und sah hinauf in den Himmel, dann zu mir. »Weißt du«, sagte er nachdenklich, »dass ihre Schwester schon mal versucht hat, sich umzubringen?«
    Nein, das wusste ich nicht.
    »Sie war gerade mal zwölf oder so.«
    Wieder zögerte er und sah zur Bühne hinüber, wo Leonie gerade ans Mikro trat und anfing zu singen. »Ich habe Angst, dass sie auch…«
    »Dass sie sich umbringen will?«
    Er nickte. Leonie spielte gerade ein Solo. Und das gar nicht mal schlecht. »Also hast du aus Rücksicht nie was gegen sie gesagt?«
    »Ja.«
    Da spürte ich seine Hand auf meiner. »Nicht ärgern.« Er lächelte mich an und meine Wut löste sich auf, verpuffte einfach in der warmen Abendluft. »Meine Mutter ist auch so. Beim kleinsten Widerspruch glaubt sie schon, man liebt sie nicht mehr. Und mein Bruder…« Er stöhnte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Familie kann einen ganz schön stressen.«
    »Hm«, machte ich und zerknüllte die Serviette. »Und jetzt bist du also gezwungen, immer Ja zu allem zu sagen?«
    »Nein«, sagte er und lachte wieder. »Natürlich nicht. Man darf es ihnen halt nur nicht immer so direkt sagen.«
    Plötzlich wollte ich weg. Ich wollte nicht mehr über Leonie reden. Ich wollte Leonie nicht mehr in meinem Leben! Und Vivian und Maya auch nicht. »Weißt du, was supercool wäre?«, fragte ich und sah ihn an.
    »Was?« Seine Augen blitzten unternehmungslustig.
    »Auf den See rauszurudern. In der Nacht.«
    Er grinste. »Stimmt. Könnte Spaß machen.«
    »Ich weiß nur nicht, wo wir ein Boot herkriegen.«
    »Ich besorg uns eins.«
    »Wirklich?«
    »Klar. Wenn ich es sage.«
    Seines war das schönste Lächeln, das ich bisher gesehen hatte. Ich war so glücklich. Ich hatte das Gefühl zu leuchten. War ich tatsächlich verliebt?
    »He, was ist?«, fragte er und sah mich an.
    »Nichts! Überhaupt nichts!«, rief ich und strahlte ihn glücklich an.
    »Ich glaube, du musst auf die Bühne!«
    Da sah ich Vivian und Maya wild in meine Richtung gestikulieren.
    »Also dann, viel Glück! Bis später!« Und da hauchte er mir ganz schnell einen Kuss auf die Wange.
    Ich riss mich los und taumelte wie benommen auf die Bühne zu.
    Das war die beste Sommerparty der Welt! Unter mir ein wogendes Meer aus Feuerzeugen, sich wiegenden Körpern, glücklichen Gesichtern. Die Bühne leuchtend blau wie ein exotischer Käfer in der Sommernacht. Ich fühlte mich so gut! Ich gehörte dazu! Ich hatte es geschafft!
    Alles soll so bleiben,
Keiner geht fort.
Frühling, Sommer,
Herbst, Winter.
    Du und ich,
ich und du,
Die Sterne, der Mond,
die Sonne, das Meer.
    Und ganz vorn, an der Seite, da stand er, Maurice, und sah zu mir mit glänzenden Augen herauf. Ich sang für ihn. Nur für ihn. Noch nie habe ich so viel empfunden beim Singen.
    Plötzlich war Leonie neben mir am Mikrofon und sang mit. Das war zwar nicht abgesprochen, aber okay, die Stimmung war gut, warum nicht? Die Menge klatschte und johlte und Leonie und ich sangen zusammen weiter.
    Ich weiß nicht, wie es kam, aber als der letzte Ton verhallt war, in diesem kurzen Moment der Stille, sang ich noch einmal die letzte Strophe. A capella, ohne Musikbegleitung. Einfach so.
    Du und ich,
ich und du,
Die Sterne, der Mond,
die Sonne, das Meer.
    Danach breitete sich eine geradezu heilige, andächtige Stille aus. Nur die Feuerzeuge flackerten in der Dunkelheit wie Hunderte von Kerzen. Dann kam der Refrain.
    Sie brauchten keine Aufforderung. Es kam aus ihnen heraus. Sie sangen mit.

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