Sommernachtsschrei
Mehr als hundert Schüler und Schülerinnen aus meiner Schule sangen mit mir mit. Und Maurice.
Du und ich,
ich und du,
Die Sterne, der Mond,
die Sonne, das Meer.
Ein Schauder überlief meinen Körper. Etwas Wunderbares, Großartiges geschah gerade. Das Universum umfing uns alle, ich fühlte mich… unsterblich.
Ich und du
Du und ich
Erst wenn die Sterne verschwinden,
Gehen auch wir
… verhallte in der Nacht… und in der Welt… einen Atemzug lang, dann brach der Applaus aus. Das Klatschen und Johlen nahm kein Ende, es schallte über die Wiese zum See und echote in den Bergen – so kam es mir vor. Ich war überwältigt. Noch nie hatte ich Menschen so begeistert. Ich hatte sie glücklich gemacht! Ich! Franziska Krause, die von der Tankstelle!
Ein Schlagzeugwirbel erklang, ein Bluesrhythmus von Mayas Bassgitarre, und als Leonie auf der Gitarre die ersten Töne spielte, sang ich unseren Blues: Into The Wild.
Wieder brandete Applaus auf und dann sprangen die Ersten auf die Bühne und wir umarmten uns und Maurice war irgendwann da und küsste mich. Und ja… dann drückte mir jemand eine Flasche in die Hand und wir stiegen von der Bühne hinunter auf die Wiese, wo alle nun zur Musik aus den Boxen tanzten und wo uns die Dunkelheit umhüllte. Ich tanzte mit Maurice und irgendwann kam Maya und brachte uns ein paar Flaschen und ein paar Pillen. Ich fragte nicht mal, was die kleinen blauen Schmetterlinge waren, sondern schluckte sie wie auch Maurice und Maya und Vivian, die ihren Arm um Leonies Hals geschlungen hatte, als müsse sie sich daran festhalten. Einen kurzen Moment dachte ich an die Mutprobe und daran, nie wieder so etwas zu tun, dann sah ich auf die Uhr, es war halb eins, ich hätte schon seit einer halben Stunde zu Hause sein müssen, doch dann erfüllte mich eine wunderbare Wärme, die wie eine glutrote Sonne in mir aufstieg, und ich sah mich selbst so wundervoll rot glühen, da, in der Nacht, und Maurice glühte auch, in einem strahlenden Orange, und noch immer hallte mein Song, drang hinaus in die Welt…
»… Boot«, hörte ich Maurice sagen. Da erinnerte ich mich und ich sah uns beide schon als rot und orange glühende Körper über den schwarz glänzenden See schweben.
»He, du wirst doch jetzt nicht abhauen wollen!« Leonie!
Ihr Kopf erschien mir als gelber Lampion, irgendwie war mir ein bisschen schwindlig, aber es war schön; so, genau so musste es sich anfühlen, auf einer Wolke über den Himmel zu schweben.
»Doch!«, hallte meine Stimme seltsam in die Nacht.
Maurice’ Arm hielt mich und ich spürte seine Wärme und wir wandelten über die Wiese hinüber in die dunklen Schatten der Bäume. Ich fühlte mich wie eine Fee, die über ein Märchenland schwebt, so leicht, so unsterblich, so schön und glücklich.
Plötzlich erhob sich vor uns etwas Großes, Dunkles. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich das Bootshaus. Die in der Dunkelheit der Nacht schwarz wirkenden Holzbalken, die Blumentöpfe.
Doch da war noch etwas. Etwas, das nicht dahin gehörte.
Das ist nicht richtig, dachte ich. Irgendetwas stimmte nicht. Ein Geräusch, das nicht hierhergehörte? Ein Geruch? Ich kam nicht drauf und dann waren wir auch schon drin im Bootshaus und ich war mit ihm allein und nur das zählte noch.
15
»Etwas stimmte nicht«, murmle ich und Leonie sieht mich fragend an. Meine Augen haben sich ein bisschen an das dämmrige Licht hier im Bootshaus gewöhnt.
»Was?«
Wenn ich das wüsste!
»Das ist nicht richtig, hab ich gedacht, etwas stimmt nicht. Aber ich hab keine Ahnung, was ich damit gemeint habe.« Suchend sehe ich mich um, als ob die Antwort hier irgendwo geschrieben stünde.
»Bestimmt hat Maurice dir etwas gesagt, was du nicht richtig fandest«, sagt Leonie, noch immer die Nase rümpfend. »Er wollte was von dir, ist doch klar.« Sie lässt ihren Blick durch das Bootshaus schweifen, als verberge jede dunkle Ecke ein abstoßendes Geheimnis. »Ziska, es war eine warme Sommernacht, Superstimmung, ihr wart allein, ihr hattet getrunken und was eingeworfen«, sie sieht mir tief in die Augen. »Jeder Typ hätte das gewollt.«
Ich denke nach. War es so gewesen? Ich versuche, mir Claude hier vorzustellen. Ist er reingekommen? Ach da bist du, ich hab dich überall gesucht, Maurice! Schämst du dich nicht, dich als der Mustersohn zu geben, während sie mich verstoßen? Du bist ja auch nicht gerade die Unschuld vom Land…
Nein, ich erinnere mich nicht. Aber Maurice… Maurice ist einen Moment
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