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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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ängstlicher Vogel, der vergeblich aufflattert, panisch mit den Flügeln schlägt.
    Die scharfen Zacken der Wodkaflasche, das Blut an seinem Ohr: Ich weiß, ich hätte ihn umbringen können, wenn es notwendig gewesen wäre. Mit jedem Mal fällt es ihnen leichter, sagt man das nicht von Mördern?
    Ich sacke zusammen, ich kann nicht mehr. Der spitze Kies sticht mir in die Handflächen. Und dann wird mir übel, so übel. Ich kippe zur Seite und übergebe mich.
    Danach geht’s mir besser. Wie konnte ich nur dieses Zeug trinken? Und wenn ich die Schlaftabletten noch genommen hätte…? Gerade erscheint es mir unvorstellbar, dass ich vorhatte, mein Leben einfach so wegzuwerfen – aus purem Selbstmitleid!
    Ich rapple mich auf, hänge meine Tasche über die Schulter, atme durch und gehe los. Es tut gut, den Kies unter meinen Schritten knirschen zu hören, dann das feuchte Gras an meinen Knöcheln zu spüren.
    Hier würden sie morgen früh anfangen, die Bühne und die Schwenkgrills aufzubauen. Wie letztes Jahr. Als sei nichts passiert.
    Ich überquere die Wiese, ducke mich unter den Laubbäumen hindurch und langsam beruhigt sich mein Herz, mein Kopf wird klarer, ich werde sogar müde, ganz normal müde. Je näher ich zum See komme – ich sehe ihn schon zwischen den Bäumen hindurchschimmern –, umso kühler und feuchter wird es.
    Ich muss schlafen, das ist jetzt das Einzige, wonach ich mich sehne. Aber ins Bootshaus will ich nicht und einfach so auf der Wiese ist es viel zu kalt. Da fällt mir der Unterstand ein, die kleine Holzhütte auf der Wiese hinter der Baumreihe. Ich wende mich vom See ab und stapfe weiter durchs Gras. Als ich an der Hütte ankomme, wünsche ich mir nichts mehr, als mich in einen traumlosen Schlaf fallen zu lassen.
    Die Tür ist nicht verschlossen, ich stoße sie auf und stehe in einem Raum, in dem auf der einen Seite ein paar Heuballen liegen und auf der anderen Seite loses Heu. Ohne lang zu überlegen, strecke ich mich darauf aus, nehme meine Tasche als Kopfkissen und schließe die Augen. Alle Anspannung fällt von mir ab und ich überlasse mich dem Schlaf, der wie eine Welle über mich hinwegrollt.

19
    Einer meiner Albträume ist es, an einem mir völlig unbekannten Ort aufzuwachen und mich nicht daran erinnern zu können, wie ich dahin gekommen bin. Dieser Moment jetzt ist kein Albtraum, das weiß ich sofort, denn ich bin hellwach. Dieser Moment ist die Wirklichkeit. Zwei, drei Sekunden vergehen, in denen ich panisch herauszubekommen versuche, wo ich bin. Eine Schwertklinge liegt auf meinem Bauch, Nägel bohren in meinen Rücken… mein Gott… ich fahre hoch und ramme mit der Stirn gegen etwas Hartes, Kantiges.
    Ich schreie auf und begreife, dass ich im Heuschober bin, dass die Schwertklinge ein Streifen Mondlicht ist, der durch die Zwischenräume der Holzlatten fällt, dass die Nägel pieksende Strohhalme sind, auf denen ich liege.
    Einen Augenblick lang bin ich erleichtert, will mich schon wieder zurücklegen, als ich ein Motorengeräusch höre. Mitten in der Nacht? Auf meiner Handyuhr ist es kurz nach zwei Uhr. Um diese Uhrzeit fährt hier bestimmt kein Traktor lang, um Gras zu mähen – und die Straße ist ein ganzes Stück entfernt.
    Der bohrende Schmerz in meinem Kopf wird stärker, pochend, brennend, während der Motor draußen lauter wird. Ich stehe auf, laufe zum Fenster auf der anderen Scheunenseite, sehe nichts, nur die Schatten der Bäume und die dunkle Fläche der Wiese. Mein Herz pocht schneller, härter, mir wird klar, dass ich allein bin, völlig allein.
    Das Motorengeräusch kommt von einem Auto. Hastig schleiche ich auf die andere Seite der Hütte, bücke mich und versuche, durch einen breiteren Spalt zwischen den Brettern etwas zu erkennen. Ein Sportwagen rollt auf die Hütte zu. Bleibt stehen. Zwanzig, dreißig Meter davor. Laut wummernde Rockmusik dringt heran. Der Motor wird abgestellt. Die Musik geht aus. Klackend öffnet sich die Fahrertür, ein kurzer Reflex des Mondlichts, eine dunkle Gestalt mit hellem Haar steigt aus, wirft die Tür zu, flucht leise vor sich hin, verschwindet im Schatten des Autos, taucht wieder auf und wankt breitbeinig und fluchend auf die Hütte zu.
    Franz Niederreiter, ich erkenne ihn an seiner stämmigen Figur, breit wie ein Kleiderschrank, ein Kraftpaket, das plötzlich explodieren kann. Die Motorradlederjacke lässt ihn noch gefährlicher aussehen. Mir fällt ein, dass ihm diese Wiese hier gehört und auch die, auf der die Sommerparty

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