Sommernachtsschrei
Kopf, »ich glaube nicht.«
»Sie ist im Gemeinderat von Prien, kandidiert fürs Bürgermeisteramt. Ist ganz nett – aber ganz schön ehrgeizig. Die kämpft mit harten Bandagen gegen ihre Gegner.«
»Ah«, bringe ich heraus.
Er legt den Kopf schief und sieht mich skeptisch an. »Sicher, dass alles okay ist?«
»Ja, ja!« Ich setze ein Lächeln auf. »Mir… mir knurrt nur ziemlich der Magen!« Vor mir steht ein Teller mit einem Croissant und ein Becher heiße Schokolade. Ich sterbe vor Hunger, habe aber keinen Appetit.
»Ich auch!« Er lacht. »Fang an!«
Ich setze den Becher an die Lippen. Nein, ich bringe bestimmt keinen Schluck runter. Ich hab ihn umgebracht , hallen meine eigenen Worte in meinen Ohren. Die Worte, die ich Olaf Ritter gesagt habe, als er mich im Bootshaus gefunden hat.
»Gefällt es dir in Prien?«, frage ich, bevor er vielleicht komische Fragen stellen könnte.
»Es geht. Viel ist ja nicht gerade los.« Er zuckt die Schultern, während er die Tasse mit beiden Händen hält.
Vielleicht friert er auch, weil er nicht geschlafen hat, denke ich und lege meine Hände um die heiße Tasse Schokolade.
»Aber die Gegend ist super! See, Berge, im Sommer baden, klettern, im Winter snowboarden… he, hast du ein Fahrrad hier?«
Ich schüttle den Kopf.
»Wir könnten eins leihen, ich kann bestimmt eins auftreiben… ich meine… falls du Lust auf eine Tour hast.« Er lächelt ein bisschen verlegen.
Ich will etwas sagen, etwas Nettes. Aber mir fällt nichts ein. Tolle Gesellschaft, denke ich. Er schweigt, sieht mich an. Jetzt stellt er sicher eine unangenehme Frage, denke ich noch. Früher dachte ich das selten, aber inzwischen habe ich Angst vor Fragen. Sie könnten wie Messer meine schützende Hülle aufreißen und zutage fördern, was darunterliegt: Die Seele einer Mörderin.
»Aber was machst du eigentlich hier in Kinding?«, fragt er auf einmal.
»Ich besuche jemand. Eine Freundin. Wir waren zusammen in der Schule.« Verlegen zupfe ich am Croissant, stecke mir Teigfetzen in den Mund, damit ich eine Entschuldigung für meine Wortkargheit habe.
»Ach ja? In welcher denn?«, fragt er interessiert.
Auf die Schnelle fällt mir nichts anderes ein als die Wahrheit. »Augustinus.« Ich nehme einen Schluck heiße Schokolade.
»He… da war doch…« Er runzelt die Stirn.
Nein! Bitte nicht!
»… diese Sache mit der Schulparty. Letzten Sommer. Der Typ, der erschlagen wurde… er war ungefähr so alt wie du… du hast doch sicher was davon gehört, oder?« Gespannt sieht er mich an.
Ich ersticke fast, dabei hätte ich es kommen sehen müssen.
Viel zu schnell und viel zu heftig schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich meine, ich hab da schon nicht mehr hier gewohnt.«
»Es soll ein Mädchen aus seiner Klasse gewesen sein«, redet er weiter.
»Ja, ich erinnere mich, so was gehört zu haben«, antworte ich vage. Wie kann ich das stoppen? Krampfhaft suche ich in meinem trägen Hirn nach Sätzen, Floskeln, nach einem anderen Thema, das ich anschneiden könnte, doch ich finde nichts. Mein Gehirn streikt.
»Ich stöbere gerade im Archiv«, redet er unbeirrt weiter. »Sonst gibt’s ja nicht viel zu tun hier. Man musste sie freilassen. Aus Mangel an Beweisen.«
Warum bin ich nur mit ihm ins Café gegangen? Ich hätte mir doch denken können, dass er mir nicht schweigend gegenübersitzen würde!
Nachdenklich sieht er zum Fenster raus. »Es ist schlimm, unschuldig im Gefängnis zu sitzen. Das hinterlässt bestimmt Spuren…«
»Ich glaube, ich muss gehen«, falle ich ihm ins Wort und stelle die Tasse ab. Ich treffe den Rand meines Porzellantellers, es scheppert, ich zucke zusammen, habe den Eindruck, als würden mich plötzlich alle anstarren, die beiden Mütter, der Typ mit der Zeitung. Sogar das Rauschen der Kaffeemaschine scheint verstummt zu sein. Zum Glück hab ich nichts verschüttet.
»Weißt du, dass die Polizei einige Spuren überhaupt nicht verfolgt hat?« Er hat gar nicht wahrgenommen, dass ich gehen will.
»Ach ja?«, bringe ich heraus. Wenn er wüsste, wen er vor sich hat, würde er nicht so reden.
»Ja! Die Zigarettenstummel zum Beispiel.«
»Welche Zigarettenstummel?« Ich bemühe mich, nicht zu interessiert zu klingen.
»Neben dem Bootshaus.« Er schüttelt gedankenverloren den Kopf. »Zwei Joints. Sie haben noch nicht mal die DNA untersucht. Das stand in den Protokollen vom Tatort. Dass sie da Joints gefunden haben und…«
»Wieso sollten die Joints irgendwas mit dem Fall zu tun
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